: Konservative Lebenslügen
■ CDU-Initiative: Wer darf Deutscher sein?
In Deutschland gilt noch immer, daß nicht automatisch deutscher Staatsbürger sein darf, wer hier geboren wird. Wer hingegen (wie die Wolgadeutschen) das richtige Blut vorweisen kann, hat Anspruch auf die hiesige Staatsangehörigkeit. Das ist, abgesehen von dem rassistischen Beigeschmack, ein Anachronismus, der in einem modernen Staat nichts zu suchen hat.
Daß hierzulande, anders als in Frankreich und England, noch immer jenes Jus sanguinis gilt, ist mehr als mißlich. Dieses Gesetz ist eine Schikane, die es den hier lebenden Immigranten erschwert, sich in diese Gesellschaft zu integrieren. Daß sich insbesondere die CDU/CSU seit Jahren hartnäckig weigert, dies zu ändern, offenbart eine deutsche Lebenslüge: die klammheimliche Hoffnung, daß jene, die vor vierzig Jahren als Gastarbeiter kamen, irgendwann doch wieder ihre Koffer packen. Deshalb wird den Kindern von Immigranten, die seit Jahrzehnten hier leben, die automatische Anerkennung als Deutsche versagt. Daß dies kein akzeptabler Zustand ist, können eigentlich nur Rassisten bestreiten.
Einhundertfünfzig CDU-Bundestagsabgeordnete haben nun ein Papier unterschrieben, das die Blockade beenden könnte. Erstens, so ihre Forderung, sollen Kinder ausländischer Eltern automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten; zweitens sollen Ausländer, die zehn Jahre hier leben, eingebürgert werden. Dies ist auf den ersten Blick ein Bruch mit dem deutschen, auf Blut fixierten Staatsangehörigkeitsrechts. Auf den zweiten hingegen schon etwas weniger: Denn mit 21 Jahren sollen sich die Immigrantenkinder für eine Staatsbürgerschaft entscheiden müssen. Das Naheliegende und Vernünftige zu fordern, nämlich die doppelte Staatsbürgerschaft, ist für die CDU-Reformer offenbar zuviel. Gleichwohl: Interessant ist dieses Papier. Es kann zur Nagelprobe für die CDU/CSU werden. Gerade in symbolisch wichtigen Fragen ist die Partei stets darauf bedacht, ihren rechten Rand nicht zu verschrecken.
Zu allzu großen Hoffnungen ist also kein Anlaß. Bisher ist noch jeder zaghafte, gutgemeinte Reformversuch im Staatsangehörigkeitsrecht schließlich daran gescheitert, daß sich die Konservativen doch nicht von jener Lebenslüge verabschieden wollten. Stefan Reinecke
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