Konservative Kritiker: Merkel sagt Basta
Angela Merkel lässt die konservativen Kritiker reden, macht aber keine Abstriche am Modernisierungskurs. Umwerben will sie die Anhänger von SPD, FDP und Grünen.
Der Erzbischof war bester Laune. Seit langem hat der katholischen Kirche nichts mehr so viel Aufmerksamkeit eingebracht wie die Papstkritik der Bundeskanzlerin und die Debatte, ob die CDU noch konservativ genug sei. Leichten Schritts und mit Mundwinkeln, die über die Ohren fast hinausreichten, betrat Robert Zollitsch am Donnerstagabend die Berliner Parteizentrale, um mit dem CDU-Vorstand zu diskutieren. An der Seite seiner evangelischen Kollegin Margot Käßmann, die mit ihren Thesen zu Afghanistan auch bei Christdemokraten Widerspruch hervorrief.
Herr Zollitsch, kommt das "C" noch genügend vor in der CDU? "Da kann man durchaus noch einiges intensivieren." Was denn zum Beispiel? "Dass die Schere zwischen Arm und Reich nicht noch weiter auseinandergeht."
An solchen Konservativen braucht sich Angela Merkel, wenn sie ihre Partei strategisch in die Mitte führt, kaum zu stören. Sie tut es auch nicht. Als die Vorsitzende am Freitag vor die Presse trat, ließ sie sich Zugeständnisse an die Konservativen nicht entlocken. Das Diskussionspapier einiger Fraktionschefs aus den Ländern, die voriges Wochenende mehr Rücksicht auf die Stammwähler verlangten, tat sie mit der Vokabel "bereichernd" ab. Wichtig sei hingegen, "dass wir den Grundkurs für uns als Volkspartei hier festlegen konnten".
Was unter dem "Grundkurs" zu verstehen ist, steht in der am Freitag beschlossenen "Berliner Erklärung". Bemühen will sich die CDU demnach vor allem um die Wähler der übrigen Parteien. Um SPD-Anhänger, die schon beim letzten Mal zu Hunderttausenden überliefen. Um das Milieu von FDP und Grünen, das mit den Stichwörtern "Bewahrung der Schöpfung" und "Soziale Marktwirtschaft" umschrieben wird. Ach ja, auch um die "treuen und langjährigen Wählerinnen und Wähler", die in der Endfassung sogar am Anfang stehen.
Nach jener Führungsschwäche, die man Merkel zuletzt vorwarf, klang das alles nicht. An Entschlossenheit, mit der eigenen Partei ohne Rücksicht auf Traditionsbataillone die Mitte des politischen Feldes zu bespielen, übertrifft sie sogar den SPD-Vorgänger im Kanzleramt. Nur dass sie es anders als Gerhard Schröder vermeidet, den Kritikern öffentlich den Mund zu verbieten. "Ich freue mich über jeden Diskussionsbeitrag", behauptete sie am Freitag.
Auf Fragen nach ihrer eigenen Positionierung sagte Merkel: "Wahrscheinlich bin ich überhaupt ziemlich konservativ." Sie mache nicht jede Mode mit, sei jedoch für Neues aufgeschlossen. Bildungs- und Integrationsfragen ließen sich beispielsweise nicht einfach mit dem Verweis auf das dreigliedrige Schulsystem beantworten. Es sei auch nicht konservativ, vergangenen Zeiten hinterherzutrauern.
Die offene Flanke bleiben mindestens bis zur Wahl in Nordrhein-Westfalen die Steuersenkungen. Hier wiederholt das Papier die Formulierungen aus dem Koalitionsvertrag, nach Protesten der Ministerpräsidenten aus Sachsen-Anhalt und dem Saarland kam eine Einschränkung hinzu. Der "Rahmen für die steuerlichen Entlastungen" wird demnach begrenzt durch die "öffentlichen Haushalte von Bund, Ländern sowie Kommunen" und die "Einhaltung der verfassungsrechtlich vorgegebenen Schuldenbremse". Das Thema liegt allerdings quer zum Wertestreit. Kirchgänger sind nicht unbedingt für niedrigere Steuern, noch nicht mal die Wirtschaftsleute - wenn Steuersenkungen zu neuen Schulden führen.
Im November wird es einen Bundesparteitag geben. Muss ja. "Mindestens alle zwei Jahre", steht in der Satzung. Früher trafen sich die Delegierten deutlich öfter. Einen Parteitag vor oder nach der Bundestagswahl hatte Merkel bewusst vermieden. Es ist nicht ihr Format, so wenig wie SPD-Parteitage das Format Gerhard Schröders waren. Das letzte CDU-Treffen in Stuttgart hat Merkel noch in unangenehmer Erinnerung. Ihr Thema damals: die Abwehr von Steuersenkungen.
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