: Konjunktur: Rüffel für Lambsdorff
■ Bereits tief verschuldete Gemeinden sollen noch mehr Kredite aufnehmen / Zinsvergünstigungen auch für Privatwirtschaft / Sozialdemokraten: Placebo–Programm - lieber höhere Bundesverschuldung
Von Lilo Kunkel
Berlin (taz) Auf scharfe Kritik seitens der Bonner Opposition aber auch von Wirtschaftsverbänden ist das gestern verkündete Programm der Bundesregierung gestoßen, mit dem diese das Wirtschaftswachstum stärken will. Insgesamt 2,6 Milliarden DM gedenkt sie zur Verfügung zu stellen, damit die Gemeinden sowie kleinere und mittlere Unternehmen an billigere Kredite kommen und die Post zusätzlich investieren kann. Für 15 Milliarden DM sollen sich die Gemeinden nach den Vorstellungen der Bundesregierung aufgrund dieses Programms zusätzlich verschulden, um Investitionen zur Erschließung von noch mehr Gewerbeflächen, zur Stadt– und Dorferneuerung und für den Umweltschutz vorzunehmen. Sechs Milliarden kann sich die private Wirtschaft zinsgünstig pumpen, wobei noch offen ist, ob hier nur Betriebe mit einem Umsatz bis höchstens 300 Millionen DM jährlich berücksichtigt werden. Die Kredite sollen über die zu 80 Prozent im Bundesbesitz befindliche Kreditanstalt für Wiederaufbau laufen. Außerdem soll die Bundespost zusätzliche Investitionen in Höhe von 1,5 Mrd. DM vornehmen. Wie ein Sprecher des Postministeriums gegenüber der taz erklärte, sind hier „Hochbaumaßnahmen“ angepeilt wie auch Ausgaben im Fernmeldebereich - einem Bereich also, der nach Plänen von Postminister Schwarz–Schilling demnächst aus der Post ausgegliedert wird. In der Koalitionsrunde erhielt der wirtschaftspolitische Sprecher der FDP, Graf Lambsdorff, einen Rüffel. Er hatte die Beschäftigungswirksamkeit des Ganzen in Frage gestellt. Seiner Ansicht nach würden die Amerikaner, die von der BRD eine Wirtschaftsankurbelung zugunsten der Weltkonjunktur verlangen, „nur lachen“. Man möge lieber die Steuerreform vorziehen. Er wurde verdonnert „Solidarität zu üben“. In der Kritik am Programm steht Lambsdorff dabei nicht allein. Der Bundesverband der Volks– und Raiffeisenverbände schoß scharf gegen die Zinsverbilligung, die kaum geeignet sei, die über die Konjunkturentwicklung beunruhigten internationalen Finanzmärkte nachhaltig zu beeindrucken. Für die SPD, die am Dienstag ein eigenes Konjunkturprogramm vorgelegt hatte, ist das ganze ein Placebo–Programm im „Miniformat“. Nach ihren Vorstellungen müsse der Bund 23 Milliarden zusätzliche Mittel aufwenden, um damit private und öffentliche Investitionen von 40 bis 50 Milliarden DM zu mobilisieren. Dafür dürfe sich der Bund auch seinerseits höher verschulden. Nach Ansicht des scheidenden Präsidenten des Industrie– und Handelstages, Otto Wolff von Amerongen, hätte es mehr Sinn gemacht, eine Möglichkeit auszuschöpfen, die das Stabilitäts– und Wachstumsgesetz böte: Vorübergehend die Einkommenssteuer um 10 Prozent zu kürzen, um die Nachfrage allgemein anzukurbeln. Siehe Gastkommentar auf Seite 4 und Wirtschaftsseite 8
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