: Kongreß in Istanbul
■ Debatte über Krieg und Demokratie
Hamburg (taz) – „Wir befinden uns an der Schwelle zu einem Völkermord. Wenn wir keine demokratische Lösung finden, wird dieser schreckliche Krieg weitergehen, und niemand kann voraussagen, wohin das führt. Dabei ist eine demokratische Lösung doch so naheliegend.“ Yasar Kemal, der renommierte türkische Romancier, eröffnete am Samstag einen Demokratie-Kongreß, der für zwei Tage über 500 TeilnehmerInnen im Istanbuler Hilton-Hotel zusammenführte. Zentrales Thema war der enge Zusammenhang zwischen der kurdischen Frage und der allgemeinen politischen Verfaßtheit der Türkei. Gestern wurden auf einer Pressekonferenz die Ergebnisse vorgestellt.
Dem Aufruf bekannter Intellektueller, KünstlerInnen und Menschenrechtler waren Vertreter der verschiedensten Gruppen gefolgt. Das Spektrum reichte von Sprechern linker Oppositionsparteien wie der prokurdischen Demokratiepartei DEP über die Grünen und Angehörige der in der Regierung vertretenen Sozialdemokraten SHP bis zu Hikmet Özdemir, dem ehemaligen Berater des verstorbenen Staatspräsidenten Özal, oder Altan Tan, vormals Abgeordneter der islamischen Refah- Partisi und jetzt in der Leitung der „Partei der großen Veränderung“ BDP von Adnan Menderes.
Allein das Zusammenkommen dieser Kräfte muß unter den augenblicklichen politischen Bedingungen der Türkei als großer Erfolg bewertet werden. Bis wenige Tage vor dem Kongreß war fraglich, ob der Gouverneur der Stadt die erforderliche Genehmigung erteilen würde. Einige Monate zuvor war eine vergleichbare Initiative des Schriftstellers Aziz Nesins verboten worden.
Der Kongreß benannte als zentrale Aufgabe die Schaffung eines politischen Klimas, in dem „frei über alles diskutiert werden kann“. Entscheidendes Hindernis bilde die nach dem letzten Militärputsch erlassene Verfassung von 1982. Um eine demokratische Verfassung auszuarbeiten, schlugen die Kongreßredner die Einberufung einer verfassungsgebenden Versammlung unter Einbeziehung aller gesellschaftlicher Gruppen vor.
Die Mehrheit der Kongreßredner hob die Bedeutung einer demokratischen Lösung der Kurdenfrage für die türkische Gesellschaft hervor. Demal Nebloglu, Vorsitzender der Gewerkschaftskonföderation Disk fragte: „Kann man denn ein Land demokratisch nennen, in dem Menschen nach ihrem Geburtsort abgestempelt und als potentielle Straftäter behandelt werden? Das Blutvergießen muß sofort aufhören, die Waffen schweigen.“ Corry Guttstadt
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