Konfliktbewältigung, „Libération“ etc.: Ils ne regrettent rien
■ Frankreichs Intellektuelle über ihr Engagement für Bosnien
„Der Frieden schmeckt nach Asche“, steht in einem Dossier der französischen Tageszeitung Libération, das am Samstag erschien, dem Tag, an dem in Bosnien die ersten Wahlen nach dem Krieg stattfanden. „Das pluralistische Bosnien, von dem unsere Intellektuellen geträumt haben, ist nichts als eine Fiktion. Haben sie den Krieg verloren?“
Die Befragten – vor allem Philosophen, Professoren, Schriftsteller wie Bernard-Henri Lévy, Alain Finkielkraut, André Glucksmann, Pierre Hassner, Edgar Morin und Bernard Kouchner – bereuen nichts. Ihr Engagement für Bosnien hatte zunächst vorsichtig begonnen, mit einer Unterschriftenliste für die Anerkennung der slowenischen und kroatischen Unabhängigkeitsbestrebungen.
Der tschechische Schriftsteller Milan Kundera hatte am französischen Nationalfeiertag im Juli 1991 von Chamberlain gesprochen, der zu Hitler gesagt hatte: „Wer kennt schon die Tschechoslowakei“, und hatte das Schicksal der kleinen Nationen Osteuropas mit dem der Juden im Zweiten Weltkrieg verglichen. Damit war der Ton der späteren Kampagne vorgegeben, die vieles von ihrem Gewicht daraus bezog, an welche Erzählung sie anknüpfte: die Judenvernichtung und München, den Spanischen Bürgerkrieg, die Dreyfusaffäre – oder, was die eigene Rolle betrifft, an Figuren wie Malraux, Zola oder Voltaire.
Diejenigen, die in den letzten großen Kampagnen der Intellektuellen, etwa für die algerische Unabhängigkeit, noch an vorderster Front gestanden hatten – Pierre Bourdieu oder Jacques Derrida –, schwiegen indes lange Zeit. Alain Finkielkraut (im Bild auf einer Demonstration im Februar 1994 in Paris) trat kurz nach Kundera auf den Plan und verteidigte Slowenien und Kroatien, was ihm noch heute von vielen übelgenommen wird (und prompt den Spitznamen „Finkielkroat“ eintrug). „Ich habe niemals das kroatische Modell oder die kroatische Regierung verteidigt“, stellt er heute fest, „nur das Recht dieser Nationen auf Selbstbestimmung. Vukovar, eine europäische Stadt, wurde belagert, die Bewohner massakriert, und niemand erhob Einspruch.“
In der Tat war Vukovar nicht Dubrovnik („Venedig an der Adria“) und nicht in der Lage, internationales Engagement zu mobilisieren. Für Dubrovnik hingegen hatte Bernard Kouchner das große Friedenskonzert mit Barbara Hendricks organisiert. Auch Peter Handke hatte sich damals bereits in der Libération zu Wort gemeldet mit einem Artikel, der „Mein Slowenien in Jugoslawien“ hieß (22.8. 1991), und in dem er bestritt, daß die kleinen Nationen unter serbischem Druck stünden.
Es war der damalige Staatspräsident François Mitterrand, der gegenüber der FAZ die damals noch mehrheitsfähige Position der Intellektuellen formulierte – gegen eine Einmischung, mit historischen und eurostrategischen Argumenten: „Wie Sie wissen, stand Kroatien damals auf seiten der Nazis, nicht Serbien.“ Während die Feindeslinien in Slowenien und Kroatien für manche noch schwer auszumachen waren, mobilisierte der Beginn der „ethnischen Säuberungen“ in Bosnien auch Vorsichtige.
Bei Sarajevo mußte man nach metaphorischer Eloquenz nicht suchen – die Moscheen neben Synagogen, die gemischten Familien, die urbane Gelehrsamkeit sprachen für sich.
Finkielkraut räumt heute ein: „Sarajevo war nie das multikulturelle Paradies, das viele in ihrer damaligen Emotionalität und Solidarität darin sehen wollten. Trotz seiner sehr realen Lebenskunst gibt es doch unsichtbare Schranken: Wenn der Leiter eines Verlagshauses Kroate ist, muß der Generaldirektor Serbe und der Verkausleiter Muslim sein. Die Tageszeitung Oslobodenje erscheint jeden zweiten Tag in kyrillischer, dann in lateinischer Schrift. Was man an Bosnien verteidigen mußte, war nicht ein soziales Modell (weitgehend imaginär), sondern diese Kultur des zivilen Umgangs mit den Krisen und Konflikten.“ Mariam Niroumand
Foto: Muktar
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