Konflikt um Wagenplatz droht zu eskalieren: Stadtplan der Verwüstung
Der Konflikt um die angekündigte Räumung des Bauwagenplatzes Zomia in Hamburg sorgt für neuen Zündstoff. Autonome drohen mit Anschlägen.
HAMBURG taz | Der Konflikt um den Bauwagenplatz Zomia am Ernst-August Kanal in Hamburg-Wilhelmsburg sorgt erneut für Wirbel. Da das Bezirksamt Hamburg-Mitte der 15-köpfigen Gruppe zum 3. November eine Räumungsverfügung zugestellt hat, haben nun autonome Gruppen über die Internetseite Indymedia für den Fall der Räumung zu Widerstand und Vergeltung und letztlich Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) zur Intervention aufgerufen: "Herr Scholz wird sich fragen lassen müssen, ob ihm eine geräumte Brachfläche und Schreibers Ego mehrere Millionen Euro Sachschaden wert ist."
In dem Internetbeitrag ist zugleich eine Straßenkarte von Hamburgs Süden beigefügt worden, auf der mehr als 40 Punkte markiert sind, an denen "es sich lohne", Sachbeschädigungen zu verüben. "Wie ihr sehen könnt, ist das Aktionsfeld allein im nördlichen Wilhelmsburg sehr groß und die Ziele zahlreich", schreiben die Autoren. "Diese Karte ist kein Ersatz für eine Ortsbegehung."
Die Zomia-Gruppe äußert sich zu dem Internet-Aufruf verhalten. "Es ist nicht Zomias Aufgabe, die Vielfalt an Aktionen gegen eine verfehlte Stadtpolitik zu kommentieren", sagt eine Zomia-Sprecherin der taz. "Für uns ist jedoch klar, dass nicht das Wilhelmsburger Viertel Verursacher einer Platzräumung ist."
Dass die Räumungsandrohung gegen die Zomia-Gruppe ab 4. November Emotionen in der autonomen Szene auslöst , war vom Bezirksamtsleiter in Hamburg-Mitte, Markus Schreiber (SPD) - der noch immer über seine Regierungsgenossen vergrätzt ist, weil er nicht zum Bausenator berufen worden ist - offenbar wohlwissend einkalkuliert worden. Am 4. November 2002 hatte Schreiber nach jahrelangem Konflikt den Bauwagenplatz Bambule im Hamburger Karolinenviertel durch ein massives Polizeiaufgebot räumen und die Bewohner vor die Stadtgrenze jagen lassen. Monatelange Proteste waren die Folge.
Eine 15-köpfige studentische Gruppe - überwiegend Frauen - beschließt im Sommer 2010, fortan als Gruppe Zomia in zehn Bauwagen kollektiv leben zu wollen.
Zomia besetzt zunächst einen Platz in Hamburg-Wilhelmsburg, dann zieht die Gruppe kurzzeitig auf ein Gelände der städtischen Hafengesellschaft Port Authority um.
Nach einer weiteren Odyssee durch Hamburgs Süden darf Zomia ab Dezember auf einem Areal am Ernst-August-Kanal in Wilhelmsburg überwintern.
Verhandlungen über einen Verbleib auf der brachliegenden Industriefläche gegen Nutzungsgebühren scheitern am Veto des Bezirksamtsleiter Mitte, Markus Schreiber (SPD).
Die Räumung durchsetzen wollte Bezirkschef Schreiber am l. Mai. Er wird jedoch von Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) zurückgepfiffen.
Eine erneute Räumungsverfügung erlässt das Bezirksamt Mitte zum 3. November - einen Tag vor dem Jahrestag der Räumung des Bauwagenplatzes Bambule im Karoviertel am 4. November 2002 - obwohl die Stadtentwicklungsbehörde das jetzige Areal als beste dauerhafte Lösung bezeichnet.
Damals hatte Schreiber jedoch mit dem rechtspopulistischen Innensenator Ronald Schill einen Verbündeten, heute steht er mit seinem Räumungskurs nahezu allein da. So ist die Stadtentwicklungsbehörde von Senat und Bürgerschaft beauftragt worden, eine Lösung für die Bauwagengruppe zu finden, weshalb es wohl kaum in diesen Tagen zur Räumung kommen wird. Zudem hat Zomia-Anwalt Martin Klingner gegen den sofortigen Vollzug der Räumungsverfügung beim Hamburger Verwaltungsgericht einen Eilantrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eingereicht.
Bezirksamtssprecherin Sorina Weiland geht daher "mit Sicherheit" davon aus, dass der Ausgang dieses Verfahren, was sechs Wochen dauern kann, abgewartet werde. "Rechtsschutz bedeutet, dass eine unabhängige Instanz das Vorgehen prüfen soll, selbst wenn das Verfahren formal keine aufschiebende Wirkung hat", sagt Weiland.
Da es im Konflikt um die Zukunft von Zomia zum Verbleib in Wilhelmsburg zurzeit keine Alternativen gibt, ist wohl nur ein politisches Machtwort eine Lösung. Denn in allen anderen Hamburger Bezirken - Altona, Nord, Eimsbüttel - gibt es mittlerweile legalisierte Bauwagenplätze. Und auch die Fachleute der Stadtentwicklungsbehörde gehen davon aus, dass ein Verbleib von Zomia am Ernst-August Kanal die beste Lösung sei. "Rechtlich ist das möglich, das ist nur eine Ermessensfrage des Bezirksamtes", sagt ein Insider. Bei dem Areal handelt es sich um eine brachliegende Industriefläche, die in den nächsten Jahren nicht gebraucht wird und von der Stadt nur für eine Hafenspange vorgehalten wird.
Es ist daher möglich, dass der SPD-Senat um Bürgermeister Olaf Scholz per Evokation das Verfahren an sich zieht und wie der schwarz-grüne Vorgänger-Senat im Konflikt um die Ansiedlung eines Ikea in Hamburg-Altona das Verfahren an sich zieht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Aufregung um Star des FC Liverpool
Ene, mene, Ökumene