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Konflikt um FiskalpaktViertelrevolte bei den Grünen

Ein Viertel der Abgeordneten will die Zustimmung verweigern. Und stellt sich damit gegen den Kurs der Parteispitze. Claudia Roth wirbt für Geschlossenheit.

„Da, ein Abweichler. Das wird alles notiert“: Die Bundesvorsitzenden der Grünen, Cem Özdemir und Claudia Roth. Bild: dpa

BERLIN taz | Ein großer Teil der Grünen-Bundestagsfraktion rebelliert gegen den Fiskalpakt. Rund 15 Abgeordnete wollen dem Sparpaket für Europa ihre Zustimmung verweigern. Das bestätigten mehrere Abgeordnete am Donnerstag der taz.

Neben dieser Gruppe entschiedener Kritiker gibt es noch zwei bis drei unentschiedene Parlamentarier, die ihre Entscheidung von Ergebnissen des noch laufenden EU-Gipfels abhängig machen.

Damit könnte sich rund ein Viertel der 68 Grünen-Abgeordneten gegen das Fiskalpakt-Paket aussprechen – und damit gegen den Kurs der eigenen Partei- und Fraktionsspitze. Beide werben für ein Ja zum Fiskalpakt, der am Freitag vom Bundestag nach wochenlangen Verhandlungen zwischen Koalition und Opposition ratifiziert werden soll.

Heftiges Ringen

Gänzlich unerwartet kommt diese Revolte nicht: Seit Tagen wird in der Grünen-Fraktion heftig um eine Position zum Fiskalpakt gerungen. Bereits Anfang der Woche meldeten sich erste Skeptiker zu Wort (die taz berichtete). Die Kritiker gehören dem linken Parteiflügel an. Zu ihnen gehören etwa die Sprecherin für Atompolitik Sylvia Kotting-Uhl, die Sprecherin für Arbeitnehmerrechte Beate Müller-Gemmeke, der Entwicklungspolitiker Thilo Hoppe, der Klimaexperte Hermann Ott, der Rentenpolitiker Wolfgang Strengmann-Kuhn oder Christian Ströbele.

Die Bedenken gegen das Paket sind vielfältig. Die Kritiker halten es für ökonomisch kontraproduktiv, außerdem sei zu wenig demokratische Teilhabe gewährleistet, hieß es. „Ich bin seit Längerem entschieden, gegen den Fiskalpakt zu stimmen“, sagte der Abgeordnete Ströbele der taz. Er lehne die „rigide Sparpolitik“ ab, für die der Fiskalpakt und der Rettungsschirm ESM stünden. Zudem habe er verfassungsrechtliche Bedenken.

„Ich werde nicht für den Fiskalpakt stimmen“, sagte Müller-Gemmeke der taz. Als Sozialpolitikerin beobachte sie mit Sorge, wie in Ländern wie Griechenland elementare Sozialstandards verletzt würden. „Deshalb lehne ich den Pakt aus inhaltlicher Überzeugung ab.“ Sie schwanke noch zwischen einem „Nein“ und einer „Enthaltung“. Diese Entscheidung haben auch weitere der rund 15 Kritiker noch nicht getroffen. Eine Enthaltung könne Respekt vor dem knappen Länderratsbeschluss signalisieren, sagte Müller-Gemmeke.

Eingeschränktes Verständnis

Der Länderrat der Grünen hatte am Sonntag gegen den Willen vieler Europaabgeordneter und Finanzexperten mit 40 zu 37 Stimmen beschlossen, dem Fiskalpakt ohne weitere Bedingungen zuzustimmen. Nach dem knappen Votum hatte der Parteirat die Erwartung geäußert, dass Grüne in Bundestag, Europaparlament und Landesregierungen die Ratifizierung „geschlossen“ umsetzen. Die Grünen-Spitze warb für Geschlossenheit.

Parteichefin Claudia Roth sagte der taz, sie könne „gut verstehen“, wenn sich manche bei Entscheidungen, die die Eurokrise verlange, nicht leicht täten. Doch habe sich der Länderrat für eine Zustimmung entschieden, wenn auch knapp, sagte Roth. „Für mich als Parteivorsitzende ist es eine Selbstverständlichkeit, und so verstehe ich auch meinen Job, darauf zu pochen, dass dieser Beschluss jetzt auch eine Bindewirkung hat.“

Auch die FraktionschefInnen Jürgen Trittin und Renate Künast versuchten, die Skeptiker zu überzeugen. Sie verhängten eine Meldefrist – die Kritiker mussten sich bis Mittwochmittag bei der Fraktionsspitze melden. Dann fanden sowohl Einzel- als auch Gruppengespräche statt. Die Atmosphäre wurde von Teilnehmern als „konstruktiv und respektvoll“ umschrieben.

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16 Kommentare

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  • T
    thomsen

    Und ich dachte immer, Abgeordnete seien nur ihrem gewissen verantwortlich. Und nun gar in so einer Frage.

  • O
    Olaf

    @Hajü

    Ich bin zwar schon bei den Grünen ausgetreten als klar wurde, dass es zu einer Koalition mit Schröder kommen würde und wähle diese Partei auch nicht mehr.

    Ich glaube aber, dass sie mit ihrer Einschätzung 90% der Grünwähler fänden alles gut und wären für den Fiskalpakt ein Opfer der allgemeinen Propaganda sind. Die Konservativen bezeichnen sich schon immer als "Volkes Stimme" gegen eine kleine radikale Minderheit. Das ist aber nicht immer wahr. Ich denke die Zustimmung zur Durchsetzung einer ewig unveränderlichen allgemeinen Austeritätspolitik in Europa liegt deutlich unter 90%. Sogar bei den Grünen!

  • A
    aurorua

    Wer die noch wählt leidet sicherlich an Amnesie bezüglich der Ära Schröder/Fischer.

    Insbesondere die Führungsriege gehört doch längst zum Typus unsozial, opportun, konservativ, neoliberal, machtgierig, geldgeil, geltungssüchtig und bequem!

    Wer war denn das Zünglein an der Waage als es um massiven Sozialabbau bei Armen, Kranken, Rentnern, Erwerbslosen zu Gunsten der Reichen und Superreichen ging?

    Wer hat denn modernes Sklaventum in Form von Leiharbeit zu Hungerlöhnen realisiert?

    Wer hat denn -groß geworden mit der Friedensbewegung- deutsche Soldaten in sinnlose Kriege, Tot und Verstümmelung (physisch und psychisch) getrieben.

    Wer hat denn aus Inkompetenz und Dummheit einen jederzeit umkehrbaren Atomausstieg hingelegt?

    DIE GRÜNEN!!!

    Flaschenpfand ist die einzige "soziale Errungenschaft" von diesen Flaschen, denn immer mehr Menschen entwürdigen und erniedrigen sich indem sie Mülltonen durchwühlen weil es hinten und vorne einfach nicht mehr reicht.

  • C
    cassiel

    Tja, so schnell sind die Grünen bei der Hand wenn es darum geht die Demokratie im Namen Europas auf dem Altar des Euro-Mammons zu opfern. Sollte man sich immer ins Gedächtnis rufen, wenn diese sich mal wieder für (direkte) Demokratie aussprechen:

    > http://demokratie.mine.nu/read_thread__1-1360

  • OT
    Oliver Thiele

    Liebe Renate, lieber Claudia, lieber Jürgen.. Hallo von jemanden, der euch 1983 im süßen Alter von 18 Jahren gewählt hat ,-)

     

    HEUTE.. frage ich EUCH:

     

    WAS???.. soll ich bloss mit euch machen... ?..

     

    WIE??.. könnt ihr ÜBERTHAUPT NUR AUF DIE IDEE KOMMEN, diesem GEFÄHRLICHSTEN, DÜMMSTEN!!!, WIDERWÄRTIGSTEM aller bisherigen rechtschauvinistischen Angriffe auf einfach ALLES, was Solidarität, Freiheit, Menschenwürde in Deutschland und Europa ausmachen, zuzustimmen?

     

    Wirklich... es ist einfach nicht zu fassen.. von CDU, FDP, sogar von der SPD erwarte ich nichts anderes mehr... aber von den GRÜNEN?..Ich muß gestehen: Meine WUT.. meine VERACHTUNG... mein EKEL... meine ENTTÄUSCHUNG.. meine TRAUER... über dieses ERBÄRMLICHE GRÜNE NICHTS... sind mittlerweile GRENZENLOS...

     

    Mit herzlichen Grüßen an alle, die sich diesem SELBSTVERORDNETEM RECHTEN GRÜNEN AUFMARSCH verweigern...

     

    Oliver Thiele

  • R
    routier

    lara hat recht

    die Grünen sind Weicheier und nicht tragbar mit Ihrem Geschwätz

  • HT
    Hans Torbin

    Das ist aber positiv, dass es doch noch "Volksvertreter" unter den Politclowns des Kapitals gibt. Danke, für diese Information. Ich hätte nicht gedacht, dass es noch welche gibt, die sich für unsere Belange interessieren.

  • HT
    Hans Tormin

    Das ist aber positiv, dass es doch noch "Volksvertreter" unter den Politclowns des Kapitals gibt. Danke, für diese Information. Ich hätte nicht gedacht, dass es noch welche gibt, die sich für unsere Belange interessieren.

  • OI
    Oskar ist der Beste

    sehr gut, der Finanzpakt ist wahnsinn, er ist der nächste Schritt in eine Depression in Europa, wie sie es seit den dreissiger Jahren nicht gegeben hat.

    Und wenn wenigsten ein paar Grüne noch ihren Verstand beieinander haben, dann ist das ein positives Zeichen; und nach fast 15 Jahren grüner Inkompetenz und Arschkriecherei ist das ja schon ein hoffnungsschimmer.

  • A
    axel

    Schuldenabbau via massivem Sozialabbau - da weiß der Wähler und die Wählerin zumindest wofür Claudia Roth und die überwiegende Mehrheit der Grünen-Abgeordneten stehen.

     

    Hut ab vor den Abweichlern von der Größt-möglichen-Sozialabbau-Koalition aus CDU/CSU/SPD/FDP/Grünen und Teilen der Piraten.

    Anscheinend hat nur die Linke Soziales auf der Agenda.

  • M
    manfred (60)

    Das Demokratieverständnis der Grünnen-Spitze entspricht etwa dem eines Ronald Pofalla.

  • HK
    Henner Kröper

    Am Ende werden alle Grünen/Bündnis 90 dafür stimmen.

    Diese Partei ist ein Glücksfall für Deutschland, ihr verdanken wir auch den, wahrscheinlich besten Bundespräsidenten seit der Gründung der Bundesrepublik.

    Endlich bekommen Moral, Sparsamkeit, Gehorsam und Glaube, grunddeutsche Tugenden, zu Anerkennung. Weiter Bündnis 90/Grüne, unser Bollwerk gegen Links.

  • VR
    Volker Rockel

    Ein Dank an die 15 Abgeordneten der Grünen, die dem Fiskalpakt ihre Zustimmung verweigern wollen!- Bleibt zu hoffen, dass sich auch noch andere Bundestagsangeordnete verweigern werden!

  • B
    Blende

    Jürgen und Renate gehen aber mal ein wenig offen vor, was!?

  • LC
    Lara Croft

    Mein Gott, wie armselig diese Grünen doch sind!

     

    Von 68 Bundestagsabgeordneten wollen lediglich 15 nicht für die unsozial wirkenden Fiskalpakt und ESM stimmen. Und von diesen 15 (das ist nicht mal ein Viertel!) wollen sich auch manche evtl. noch enthalten, d.h. sie haben nicht mal denn Mumm mit einem klaren NEIN zu stimmen.

     

    Und dann müssen die paar, die sich angesichts dieser entdemokratisierenden Vertragswerke, die nur den Banken und Reichen nutzen, eine kritische Meinung leisten, auch noch bei ihren neoliberalen abgehlfterten Partei - FührerInnen antreten und sich in die Mangel nehmen lassen.

     

    "Jürgen Trittin und Renate Künast (...) verhängten eine Meldefrist – die Kritiker mussten sich bis Mittwochmittag bei der Fraktionsspitze melden. Dann fanden sowohl Einzel- als auch Gruppengespräche statt."

     

    Die Grünen sollten sich ein Beispiel an der Linkspartei nehmen: Die ist wenigstens eine echte Oppositionspartei und stimmt am Freitag mit guten Gründen gegen ESM und Fiskalpakt!

     

    http://www.linksfraktion.de/im-wortlaut/fiskalvertrag-richtungsentscheidung-europa-nicht-faule-kompromisse-abkaufen-lassen/

     

    Aber die Grünen bestehen eben zu über drei Vierteln aus neoliberalen, unsozialen und kriegstreiberischen Bundestagsabgeordneten.

  • H
    Hajü (Grüner)

    "10tel-Revolte" wäre präziser. Etwa 45 von 420 Kreisverbänden haben bislang die Einberufung einer Bundesdeligierten-Konferenz von der Bundesgeschäftstelle verlangt. Was wiederum ein guter taz-rechecheur wüsste, daß Steffi Lemke sagt:"Das gilt nicht." Und,"Es müssen Mitgliederversammlungsbeschlüsse dieser Kreisverbände sein, nicht nur Vorstandsbeschlüsse dieser Keisverbände, damit die 10% Quote für das Recht laut Satzung auf Einberufung einer BDK erreicht sei."

    "Steht aber gar nicht so in der Satzung!", sagen die Antragsteller.

    Damit haben sie zwar recht, aber was soll es?

    Trittitin hat auch recht. 90% der Grünwähler finden alles gut und richtig und äh.. verantwortungsvoll, war er macht.