Konflikt in der Ostukraine: 40.000 in der Warteschlange
Wer zwischen den „Volksrepubliken“ und dem von Kiew kontrollierten Gebiet reist, braucht einen Passierschein. Das aber dauert oft Monate.
KIEW taz | Immer höher sind die Hürden für die Bewohner von Donezk und Lugansk, die ihre Heimatstädte verlassen oder aber dorthin zurückkehren wollen. Wer die „Kontaktlinie“ zwischen den „Volksrepubliken“ und den von Kiew kontrollierten Gebieten der Ukraine übertreten will, muss in einem komplizierten und oftmals Monate dauernden Verfahren einen Passierschein beantragen. Ukrainische Menschenrechtler und OSZE kritisieren das Passierscheinsystem.
Angesichts leerer Apotheken, teurer Lebensmittel und ausbleibenden Renten sehen sich viele Bewohner der Gebiete Donezk und Lugansk gezwungen, regelmäßig in von Kiew kontrollierte Gebiete zu reisen.
Doch die „Kontaktlinie“ übertreten darf nur, wer im Besitz eines von den ukrainischen Behörden ausgestellten Passagierscheins ist. Die Antragstellung ist nur an einem Checkpoint der ukrainischen Streitkräfte möglich und dauert oft Monate. Derzeit, sagt Alexander Hug, stellvertretender Chef der OSZE-Beobachtermission in der Ukraine, zur taz, warten 40.000 Antragsteller auf ihren Passierschein.
Auch wenn die Passierscheine kostenfrei ausgestellt werden müssen, bekommt man in der Regel nur gegen eine Summe zwischen 30 und 50 Euro den begehrten Schein. In Donezk bieten Firmen und Privatleute Unterstützung beim Beantragen des Passierscheins an, gegen eine Bearbeitungsgebühr von 35 Euro. Wer nicht bezahlen will, muss sich auf lange Wartezeiten einrichten, bei der Antragsstellung und dem Übertritt der „Kontaktlinie“.
Wer die Checkpoints umgeht, macht sich strafbar
Angesichts dieser Missstände fordern der Gouverneur von Donezk, Alexander Kichtenko und die ukrainische Menschenrechtsbeauftragte, Valeria Lutkowskaja, die Abschaffung des Passierscheinsystems. Doch mit dieser Forderung stehen sie weitgehend alleine.
Viele Menschenrechtler und die OSZE sehen bei aller Kritik in dem Passierscheinsystem ein legitimes Interesse der Regierung, zu erfassen, wer die von Kiew nicht kontrollierten Gebiete betreten oder verlassen wolle. Die Regierung, erklärt Alexander Hug der taz, wolle mit diesem System sicherstellen, dass sich Kriminelle nicht einfach ungehindert außerhalb der Konfliktzone bewegen können.
Die OSZE fordere nicht die Abschaffung dieses Kontrollsystems, sondern eine effektivere Umsetzung, die Zivilisten nicht in Gefahr bringe, sagt Hug. Hauptkritikpunkt der OSZE sind die langen Wartezeiten an den Checkpoints. „Oftmals finden die Kämpfe an der Kontaktlinie, also auch an den Checkpoints statt. Das bringt Zivilisten dann direkt in Gefahr“, so Hug.
Viele Bewohner der separatistisch kontrollierten Gebiete umgehen die Checkpoints an der Frontlinie durch einen Umweg über Russland. Da sie hierbei jedoch die ukrainisch-russische Grenze an einer Stelle übertreten, die von der Ukraine nicht kontrolliert wird, machen sie sich strafbar und werden mit einer Geldstrafe von 60 bis 70 Euro belegt. Die OSZE fordert von Kiew die Abschaffung dieser Strafen.
Abgeordneter fordert die vollkommene Abriegelung der Separatistengebiete
„Die Passierscheinausstellung müsste direkt online über eine leicht bedienbare Internetseite abgewickelt werden können“, fordert Levon Asisjan von der Nichtregierungsorganisation SOS Vostok in einem Gespräch mit der taz.
Kritik kommt auch aus einer anderen Richtung. Igor Mositschuk, Abgeordneter der Radikalen Partei, fordert eine weitere Verschärfung des Passierscheinsystems. Das Ziel müsse eine vollständige Blockade der von Kiew nicht kontrollierten Gebieten sein, so der Abgeordnete. Eine komplette Blockade sei ein Weg, die besetzten Gebiete wieder zurückzuholen, so der Abgeordnete.
Unterdessen bekamen am Wochenende Bewohner und Besucher von Lugansk die neuen Verschärfungen der Blockade zu spüren. Seit Donnerstag dürfen nur noch Radfahrer und Fußgänger in das Gebiet Lugansk.
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