Konferenz „Re:publica“ in Berlin: Denkt denn keiner an die Kinder?

Die gleichen Wortführer wie in den vergangenen Jahren, aber ohne zündende Ideen: Die digitalen Bürgerrechtler brauchen dringend Nachwuchs.

Gunter Dueck auf der „Re:publica“. Bild: dpa

BERLIN taz | Gunter Dueck darf das. Der darf sich bei der Re:publica auf die große Bühne stellen, nuscheln, und in verstolperten Halbsätzen das Publikum beschimpfen. In freundlichem Ton natürlich.

„Sie müssen darauf achten, was Mama und Papa und der Mann von der NPD nebenan denken“, sagt der ehemalige Mathematikprofessor und Ex-IBM-Mitarbeiter. Dass es gefährlich sei, wenn Internetinteressierte nur innerhalb der eigenen Blase ihre Meinungen zementieren würden. „Die Realität ist da draußen“, sagt er. Will sagen: Ihr hier lebt in eurer eigenen kleinen bunten Welt – und die ist zu selbstreferenziell.

Großen Applaus bekommt er am Ende dafür – Dueck ist der liebenswerte Akademiker-Großonkel, den jedes anständige Familientreffen braucht. Ein schlauer Kopf, von dem man sich gerne mal auf den Pott setzen lässt.

Selbstkritik ist angebracht, deutet auch das Motto der diesjährigen Konferenz an: „In/Side/Out“ will auch vermitteln, dass man sich nach außen öffnen muss. Ganz wie Dueck sagt. Wie es übrigens schon im vergangenen Jahr hieß. Und wie auch Deutschlands bekanntestes Internetgesicht Sascha Lobo in seinem Vortrag forderte.

Der Hintergrund: Die deutschen Netzaktivisten haben in den vergangenen Monaten empfindliche Nackenschläge hinnehmen müssen: Das Leistungsschutzrecht konnte trotz guter Argumente nicht verhindert werden. Der Widerstand gegen das Gesetz zur Bestandsdatenabfrage kam spät und war schwach, so dass die Öffentlichkeit ihn kaum wahrnahm – und so wurde auch dieses Vorhaben Gesetz. Und die nächsten Kämpfe kommen: Von Abmahngesetzen bis zur EU-Datenschutzrichtlinie, von Exportregeln für Spähsoftware bis zum Streit über Netzneutralität, der sich jetzt an den neuen Telekom-Tarifen kristallisiert – überall entstehen neue Fronten. Und die Gruppe der Netzaktvisten, die dagegen ankämpft, ist klein.

Who's who der digitalen Protestkultur

So klein, dass sich viele von ihnen bis zum Burn-out abarbeiten. Und so klein, dass sie alle auf eine Re:Publica zu passen scheinen – das Programm der netzpolitischen Veranstaltungen liest sich wie ein Who’s who der Protestwortführer der vergangenen Jahre.

Zugegeben: Sie haben eine schwere Aufgabe: Frisch zu mobilisieren für Themen, über die sie schon seit Jahren predigen – und die nun endlich auf die öffentliche Agenda purzeln. Deren Bezeichnungen sich so kompliziert anhören, dass weder Medien noch jene, die sie konsumieren, Lust verspüren, darüber zu berichten. Netzneutralität, Leistungsschutzrecht – Wortmonster.

Und so scheint vieles beim Alten zu bleiben: Neue Gesichter oder gar Nachwuchs sieht man auf der Re:Publica kaum. Ebenso wenig wie ältere Neueinsteiger ins Thema. Hier treffen sich weiterhin die Zwanziger bis Vierziger zum Vernetzen und Biertrinken. Viele von ihnen haben mit Politik kaum etwas am Hut – sie lassen sich für ihre finanzpolitischen Blogs auszeichnen, reden über Nerdserien im Fernsehen, Cyborgs und Katzencontent.

Das ist nicht schlimm – aber ein wenig schade. Denn wo, wenn nicht hier, wäre der Ort, um Ideen zu entwickeln, wie man auch über die eigene Community hinaus für Netzpolitik mobilisieren könnte? Wo, wenn nicht hier, könnte man Schlüsse aus dem ziehen, was man in den vergangenen Jahren gelernt hat? Wie will man damit umgehen, dass die Piratenpartei abschifft und netzpolitische Ad-hoc-Netzwerke heute oft einfach als Shitstorm abgetan und ausgesessen werden?

Politisch setzt sich eben nicht der automatisch durch, der die besseren Argumente auf seiner Seite hat. Plötzlich kann es allerdings ganz einfach sein, wenn man auf einmal Zehntausende neuer Mitstreiter für ein Thema gewinnen kann – so wie die Teenie-Youtube-Generation bei den Protesten gegen das Acta-Abkommen.

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