Kompromiss bei Mindestlöhnen: Das Mindeste
Die Bundesregierung hat sich auf Regeln für Mindestlöhne geeinigt. In welchen Branchen ist noch unklar. Der Kompromiss hat aber seine Tücken.
BERLIN taz Künftig werden mehr Menschen in den Genuss von Branchenmindestlöhnen kommen - der Weg dahin aber ist lang, steinig und mit bürokratischen Fallen versehen. Zudem dürfte sich die Zahl derer, die in naher Zukunft Dumpinglöhnen entkommen, in Grenzen halten. Und die Alternative, einen allgemeinen gesetzlicher Mindestlohn einzuführen, ist in weite Ferne gerückt; sie dürfte aber auf der politischen Agenda bleiben. Das sind die Ergebnisse des Kompromisses, den die große Koalition beschloss.
Konkret einigte sich das Kabinett auf die Neufassung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes und des Mindestarbeitsbedingungsgesetzes, um weitere branchenbezogene Mindestlöhne zu ermöglichen.
Beide Gesetze sollen sich nach Vorstellung des Bundesarbeitsministeriums einander ergänzen. Das heißt: Für eine Aufnahme ins Entsendegesetz müssen beide Tarifpartner dies beantragen. Ist dies nicht der Fall, sollen Regelungen nach dem Mindestarbeitsbedingungsgesetz helfen. Dann soll ein paritätisch besetzter Ausschuss prüfen, ob in einem Wirtschaftszweig soziale Verwerfungen vorliegen, und Gegenmaßnahmen einleiten.
"Heute ist ein guter Tag für die Arbeitnehmer", freute sich Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD) am Mittwoch bei der Vorstellung der Gesetze. Das Entsendegesetz soll in solchen Branchen Anwendung finden, in denen mehr als 50 Prozent der Beschäftigten in tarifgebunden Betrieben arbeiten. Wird dann auf Antrag ein Tarifvertrag für allgemein verbindlich erklärt, müssen sich alle Unternehmen dieser Branche daran halten, und Beschäftigte können im Ernstfall Leistungen einklagen. Fraglich ist aber, welcher Tarifvertrag für allgemein verbindlich erklärt wird. Häufig existieren Tarifverträge christlicher Gewerkschaften, deren Löhne deutlich unter denen der DGB-Gewerkschaften liegen. Liegen konkurrierende Tarifverträge vor, soll es einen "schonenden Ausgleich" geben, heißt es im Gesetzentwurf.
"Das ist ein Einfallstor für Lohndumping", kritisierte DGB-Sprecherin Claudia Falk. Im Zweifelsfall könnte dies nämlich bedeuten, dass es zu einem Kompromiss bei der Lohnhöhe zwischen diesen Tarifverträgen kommt - und der Mindestlohn weiter gedrückt werde. Dies könnte etwa bei der Zeitarbeit der Fall sein. Die CDU hingegen begrüßt diese Regelung. Angela Merkel sprach von einem "vernünftigen Kompromiss", und CDU-Arbeitsmarktexperte Ralf Brauksiepe freute sich, dass "die Rechte kleinerer Gewerkschaften" gewahrt worden seien.
Das Mindestarbeitsbedingungsgesetz soll für die Wirtschaftszweige gelten, in denen weniger als 50 Prozent der Beschäftigten in tarifgebundenen Unternehmen arbeiten. Dabei soll ein dauerhaft einzurichtender Hauptausschuss soziale Verwerfungen in einer Branche prüfen; Hinweise darauf dürfen auch Gewerkschaften geben. Liegen Verwerfungen vor, soll ein Fachausschuss Mindestlöhne festlegen, über die die Bundesregierung auf Vorschlag des Arbeitsministeriums entscheidet. De facto hat also die Bundesregierung ein Vetorecht. Zudem gelten bestehende Tarifverträge - etwa die mit christlichen Gewerkschaften - auch nach einer Allgemeinverbindlichkeitserklärung weiter; ebenso entsprechende Folgetarifverträge.
Für den Chef der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), Franz-Josef Möllenberg, ist der Entwurf dennoch ein "Schritt in die richtige Richtung". Jetzt komme es aber auf die Umsetzung und die Festlegung der Höhe der Mindestlöhne an. Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt hingegen sprach von einer "Ermächtigung zu staatlicher Lohnfestsetzung", die die Tarifautonomie erheblich beschädige.
Derzeit profitierten etwa 1,8 Millionen Menschen von den bestehenden Branchenmindestlöhnen. Durch die Neuregelung des Entsendegesetzes könnte sich diese Zahl verdoppeln, so Scholz. In Deutschland arbeiteten im Jahr 2006 nach Angaben des Instituts für Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen rund 4,6 Millionen Beschäftigte für weniger als 7,50 Euro brutto pro Stunde; etwa 1,9 Millionen bekommen 5 Euro oder weniger. Zudem müssen etwa 1,3 Millionen Menschen ihren Lohn mit Arbeitslosengeld II aufstocken, 440.000 davon arbeiten in Vollzeitjobs.
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