: Kommt bald ein Ermittlungsausschuß für Gesamt-Berlin?
■ Der Kreuzberger Ermittlungsausschuß (EA) sammelt seit zehn Jahren Zeugenprotokolle von Polizeiübergriffen und unterstützt Betroffene bei ihren Prozessen/ Seit der Räumung der Mainzer Straße gibt es auch im Ostteil der Stadt einen EA/ Über Zusammenarbeit beider Ausschüsse wird diskutiert
Berlin. Der 12.12.1980 war auch die Geburtsstunde des Ermittlungsausschusses (EA), der seine Aufgabe bis heute darin sieht, festgenommene Demonstranten rechtlich zu betreuen. »Als ich am 12.12.1980 die Dimension der Ausschreitungen vernommen habe«, erinnert sich einer der Gründungsväter, »war mir sofort klar, daß man sofort damit beginnen muß, Material zu sammeln, um für die kommenden Prozesse fit zu sein.« Das Ergebnis der Sammlung von Betroffenen- und Zeugengedächtnisprotokollen zeigte sich 1981 erstmals in den Prozessen gegen Hausbesetzer und deren Sympathisanten. Nach den ersten Urteilen mit hohen Freiheitsstrafen wegen schwerem Landfriedensbruch kam es aufgrund von EA-Unterlagen zu einigen spektakulären Freisprüchen: Die Verteidigung konnte mit Augenzeugen aufwarten, die nicht im Ruch standen, für die Besetzer zu sein, während sich die Anklage nur auf die Aussagen beteiligter Polizisten stützte, bei denen häufig der Verdacht der Zeugenabsprache auftauchte.
Der EA vermittelte nicht nur Rechtsanwälte, er finanzierte diese bei Bedarf auch — in der Zeit von 1980 bis 1985 gingen dafür immerhin Spendengelder in Höhe von 252.000 DM ein. Er organisierte auch Informationsveranstaltungen und gab Dokumentationen und Faltblätter heraus, in denen für den Fall einer Festnahme über die Rechte bei polizeilichen Vernehmungen informiert wurde. Das Beispiel dieser angesichts von 6.000 Ermittlungsverfahren in der Hausbesetzerzeit nicht mehr wegzudenkenden Institution fand bald in anderen Städten ihre Entsprechung. Mit dem Niedergang der Besetzerbewegung in Berlin schieden viele alte Mitarbeiter aus. Neuhinzugekommene entschlossen sich weiterzumachen. Sie wollten für alle aus dem linken Spektrum da sein, die bei Demonstrationen Opfer von Polizeiübergriffen geworden waren.
Die Zusammenarbeit innerhalb des Ermittlungsausschusses verlief nicht immer konfliktfrei. 1988 kam es fast zum Bruch, weil sich der EA uneins darüber war, ob linke Strafverteidiger, die gegebenenfalls auch Vergewaltiger verteidigen, noch an die eigenen Mandanten weitervermittelt werden könnten. Inzwischen haben die ca. 15 MitarbeiterInnen mit ganz anderen Problemen zu kämpfen. »Wir stehen vor der Frage, ob wir uns als Ausschuß für Gesamt- Berlin zuständig erklären sollen oder nur für den ehemaligen Westteil zuständig sein wollen«, meint Ausschußmitglied Roger Wittmann. Hintergrund ist die Etablierung eines Ermittlungsausschusses im Ostteil der Stadt. Inzwischen wird darüber diskutiert, ob die Ausschüsse nicht besser zusammengelegt werden sollten. Ein weiteres Problem ist Wittmann zufolge, daß es nicht mehr so viele Rechtsanwälte wie früher gibt, die sich auf dem Gebiet der »Antirepressionsarbeit« engagieren wollen. Anwälte, die vor zehn Jahren »links« gewesen seien, zöge es inzwischen mehr »zum Rotwein in die Toskana« als zur Gefangenenstelle in der Gothaer Straße, bedauerte Wittmann. Wittmann hofft, daß sich das Nachwuchsproblem dadurch lösen läßt, daß die bewährten Anwälte des EA bereit sind, junge Kollegen im politischen Strafrecht anzulernen. Zu einigen Ost-Anwälten habe man auch schon Kontakt hergestellt, sei mit der Vermittlung aber eher vorsichtig, weil diese Anwälte zum Teil aus dem alten DDR-Justizapparat kämen oder die »eher idealistische Vorstellung« mitbrächten, daß man mit dem hiesigen Rechtssystem »noch etwas erreichen« könne. »Dabei kann man hier nur etwas erreichen, wenn man auf die Subversionsstrategie setzt, indem man die Strafprozeßordnung mit den Mitteln der Strafprozeßordnung unterläuft«, meint Wittmann.
Wittmann rechnet auch mit neuen Aufgaben für den Ausschuß. »Das werden nicht nur Häuserräumungen und Demonstrationen sein. In dem Moment, wo Arbeiter einen Betrieb besetzen und mit der Polizei Probleme bekommen oder die Migranten aus dem Osten Übergriffen ausgesetzt sind, werden wir auch für diese Leute zuständig sein.« EA-Mitarbeiter Wittmann ist fest davon überzeugt, daß sich die Telefonnummer des EA 6922222 in der Stadt längst genauso rumgesprochen hat wie der Polizeinotruf 110. plu
Am kommenden Samstag um 22 Uhr feiert der EA sein zehnjähriges Jubiläum in der Kneipe »EX« im Mehringhof, Gneisenaustraße 2. Obwohl der EA fast pleite ist, liegt der Schwerpunkt nicht auf Knete sammeln, sondern feiern.
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