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■ KommentareDie Schweiz wird von der Vergangenheit eingeholt i Dienstbarer Partner

Gold ist ein mythischer Stoff. Und vom Gold ist unausweichlich die Rede, wenn es um die Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg geht. Seit anderthalb Jahren drängt das Thema mit Beharrlichkeit in die Schlagzeilen: Jüdische Organisationen klagen die Rückgabe der Vermögen von Holocaust-Opfern ein, die auf Schweizer Banken liegengeblieben waren; aus den USA wird auf kompromittierende Finanzdienste für Nazideutschland hingewiesen – so die Übernahme riesiger Mengen geraubten Goldes durch die Schweizer Nationalbank, dessen Umtausch in wertvolle Devisen es Nazideutschland gestattete, sich mit unentbehrlichen Rohstoffen einzudecken.

Gegenwärtig erscheinen die ersten Bücher, die weitere Enthüllungen versprechen. Und in der Schweiz sind umfangreiche Maßnahmen zur Schadensbegrenzung eingeleitet, darunter die Bildung eines Forscherteams. Warum dieser Aufruhr, 50 Jahre nach Kriegsende? Es gab schon früher Klärungsbemühungen, sie setzten direkt nach dem Krieg ein und produzierten in den späten 60er Jahren Diskussionen. Das Problem liegt wie folgt: Die Schweiz hat den Krieg neutral durchgestanden, war von Deutschland nicht zuletzt dank ihrer Dienstbarkeit (Goldkauf, Gotthardtransit, Waffenexporte und Vergabe von Großkrediten) geschont worden. Doch in dem kleinen Land setzte sich nach dem Krieg die Sichtweise fest, man habe sich vor allem dank des eigenen Widerstandswillens behauptet. Unter diesen Vorzeichen kultiviert die Rechte bis heute die Feindseligkeit gegen das sich vereinigende Europa, während die Verfasser kritischer Untersuchungen bis vor kurzem als „Nestbeschmutzer“ galten. Heute erweist sich die Geschichtsklitterung als kontraproduktiv. Die Eliten der Schweiz suchen mehrheitlich die Annäherung an Europa und eine Öffnung zur Welt, mit der die Schweiz durch ihre Wirtschaftsinteressen eng verbunden ist.

Es geht also nicht um Vergangenes, es geht um die Zukunft des Landes. Aufzuzeigen, daß die Neutralität eine historisch berechtigte, aber ganz unheroische Überlebensmaxime war, wird heilsam sein. Und die Untersuchung, welch dubiose Beziehungen windige Geschäftsleute unterhielten, mag dazu beitragen, Verantwortlichkeiten zu klären und vielleicht – im Falle der jüdischen Vermögen – späte Gerechtigkeit herzustellen.

Während die Klärung anläuft, rüstet auch die Gegenseite. Antisemitische Vorurteile brechen auf. „Aktivdienst“-Veteranen steigen in die Gräben, Rechtspopulisten verkünden alte Gewißheiten. Für Mai ist ein Buch angekündigt, das die „amerikanisch-jüdische Attacken gegen die Schweiz“ aufs Korn nimmt. „Uns Schweizer trifft keine Schuld!“ verkünden die Herausgeber. Noch ist offen, wie das innenpolitische Kräftemessen um die Deutung der Vergangenheit ausgeht. Mario König

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