piwik no script img

KommentarNeues Siegelwirrwarr

Kommentar von Hanna Gersmann

Nun kommt ein weiteres Biosiegel auf den deutschen Markt. Die EU macht damit die Verwirrung komplett: Wer gute Bioware sucht, muss künftig genauer hinsehen

W as ist Öko, was nicht? Gestern haben die EU-Agrarminister das neu definiert. Das Problem: Sie setzen auf weniger statt mehr Qualität, auf Bio in Masse statt in Klasse. In Ökolebensmitteln kann künftig mehr drin sein, als manchem lieb ist. Da dürfen mit Gentechnik hergestellte Vitamine in den Babybrei. Und Länder können Sondergenehmigungen für den Einsatz von Ackergiften erteilen. So verlieren die Verbraucher ihr Vertrauen in die biologische Landwirtschaft. Das ist die falsche Richtung.

Bild: taz

Hanna Gersmann ist Redakteurin für Umwelt und Wirtschaft

Sicher, je geringer der Aufwand und je weniger streng die Regeln, umso mehr Bauern werden weltweit auf Bio umsteigen. Und das ist allemal besser, als konventionell zu wirtschaften. Aber wer weiß, wie lange der Kunde das mitmacht. Gewiss, derzeit gibt es einen Boom der Biobranche, die Verbraucher kaufen die Regale in Bioläden und den Supermärkten leer. Warum sollten sie Brot oder Gurken mit EU-Biosiegel kaufen, wenn sie sich nicht darauf verlassen können, dass Chemie und Gentechnik tabu sind? Dumm, dass die Minister auf quantitatives und nicht auf qualitatives Wachstum setzen.

Eine Tomate braucht 120 Liter Wasser, bis sie reif ist. Eine Biofrucht, die aus Südspanien kommt, wurde darum stark bewässert. Ökologisch ist das nicht in einer trockenen Region. Oder: Hühner, die 40 Jahre lang auf Hochleistung in Legebatterien getrimmt worden sind, sind für das Leben draußen nicht mehr geschaffen. Ihr Magen ist zu schwach, Federn haben sie zu wenig. Robusten Rassen ergeht es im Freiland besser. Die Biobauern aber werden nicht verpflichtet, auf solche umzusteigen.

Für eingefleischte Biokunden wird Einkaufen künftig schwieriger. Wenn immer neue Bioprodukte auf den Markt drängen, müssen sie genauer hinschauen. Deutsche Bioverbände wie Demeter oder Bioland sind zum Beispiel strenger als die EU - und werben mit eigenen Logos. Nur zwischen biologischen und konventionellen Lebensmitteln zu unterscheiden, reicht künftig nicht mehr. Und wer sicher ökologisch einkaufen will, muss auf Bioprodukte aus der Region setzen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

taz-Autorin
War von 2002 bis 2013 in der taz, leitete dort zuletzt das Inlandsressort. Jetzt gehört sie zum Büro die-korrespondenten.de im Haus der Bundespressekonferenz in Berlin. Sie schreibt vor allem über Umwelt-, Verbraucher- und Wirtschaftspolitik.

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!