Kommentar: Dumm, dreist oder beides
Bundeswehr-Tornados über den Protestcamps von Heiligendamm - Die Bundeswehr braucht neue Regeln.
N icht alles, was zulässig ist, muss man tun. Das gilt auch für die Tornado-Tiefflüge von Heiligendamm. Die Bundeswehr versichert, dass die Flugzeuge unbewaffnet waren und keine Demonstranten identifiziert haben. Stimmt das, kann man die Flüge noch als vom Grundgesetz erlaubte "technische Amtshilfe" einstufen. Es läge also nur politische Dummheit und/oder Dreistigkeit vor.
Christian Rath ist rechtspolitischer Korrespondent der taz mit Sitz in Freiburg.
Wer im Vorfeld eines hoch umstrittenen Staatsereignisses Bundeswehrjets über dessen Kritiker hinwegdonnern lässt, merkt entweder nicht, dass er damit ein provozierendes Symbol setzt - das wäre dumm - oder er setzt es sogar ganz bewusst. Das wäre dreist. Die politische Verantwortung trägt zunächst die rot-schwarze Regierung in Schwerin, die den Einsatz angefordert hat.
Verantwortlich ist aber auch CDU-Verteidigungsminister Jung, der den Nordlichtern den Einsatz nicht ausgeredet hat. Er sollte eigentlich wissen, dass jede Verwendung der Bundeswehr im Innern ein Politikum ist, solange Innenminister Schäuble ständig Grundgesetzänderungen fordert, um bewaffnete Soldaten im Inland einsetzen zu können. Der politische Schaden des Tornado-Einsatzes ist jedenfalls deutlich höher als sein konkreter Nutzen. Wer glaubt, dass für die Geländespiele rund um Heiligendamm tatsächlich Luftaufklärung nötig ist, hätte dafür Polizeihubschrauber einsetzen können. Die haben zwar nicht so gute Kameras, aber erwecken auch nicht gleich den Eindruck eines fliegenden Verfassungsbruchs.
Die Debatte verdeutlicht, dass die Frage nach den Grenzen der "technischen Amtshilfe" dringend transparent geregelt werden muss. Bisher heißt es im Grundgesetz nur, Amtshilfe sei möglich. Eine gesetzliche Definition, was Amtshilfe der Bundeswehr darf und was nicht, fehlt. Man wurstelt sich so durch, und die informellen Kriterien - keine Waffen, keine Grundrechtseingriffe - sind sinnvoll. Nötig ist aber noch ein ausdrückliches Verbot, die Bundeswehr in innenpolitischen Konflikten einzusetzen. Das war schließlich mal der Kern der Idee, den Einsatz der Bundeswehr im Innern stark zu beschränken.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Gespräche in Israel über Waffenruhe
Größere Chance auf Annexion als auf Frieden
Krieg in der Ukraine
USA will Ukraine Anti-Personen-Minen liefern