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KommentarGeldzählen von Anfang an

Barbara Dribbusch
Kommentar von Barbara Dribbusch

Die Angst vor Altersarmut wird immer größer. Weil vom staatlichen Rentensystem nicht mehr viel zu erwarten ist, treten viele den Rückzug in die private Vorsorge an.

G ut jeder dritte Arbeitnehmer steuert auf Armut im Rentenalter zu, schätzt der Sozialverband Deutschland. Selbst ein Durchschnittsverdiener müsse 37 Jahre lang in die Rentenversicherung einzahlen, um auf eine "armutsvermeidende Rente" zu kommen. Die Armutsgrenze setzt der Verband dabei bei einer heutigen Kaufkraft von 650 Euro an. Wenn aber so viele Arbeitnehmer in mittleren oder jüngeren Jahren wissen, dass sie höchstwahrscheinlich genauso viel Altersruhegeld bekommen wie ein Hartz-IV-Empfänger, dann stürzt das unser Rentensystem in eine Legitimationskrise.

Bild: taz

Barbara Dribbusch ist Redakteurin für Sozialpolitik im Inlandsressort der taz.

Schon heute gibt es Angestellte im Alter von um die 40 Jahren oder jünger, die ihren Arbeitgeber bitten, sie vertraglich als Freiberufler zu stellen, damit sie nicht mehr in die Rentenkasse einzahlen müssen. Die jungen Gutverdiener erwarten sich mehr davon, wenn sie die gesparten Lohnnebenkosten zur Bank tragen können. Das sind zwar noch Einzelfälle, doch sie stehen für neue Entwicklungen. Die eine Entwicklung ist auch eine kulturelle: Künftig werden Erwerbstätige genau wie in den USA schon in jungen Jahren darauf schauen, möglichst viel Geld zu verdienen, um Erspartes zurücklegen zu können für später, wenn vom staatlichen Rentensystem nicht mehr viel zu erwarten ist. Die Angst vor Altersarmut wird die Erwerbsbiografien in Akademikermilieus stärker formen als jemals zuvor. Wer einen schlecht bezahlten wirtschaftsfernen Job in Kunst oder Kultur ausübt, gilt vielleicht schon bald noch mehr als heute als romantischer Loser.

Unterhalb der Gutverdiener aber könnten die Ressentiments befeuert werden zwischen jenen, die hart geackert haben in unterdurchschnittlich bezahlten Jobs, und den Hartz-IV-Empfängern, die im Alter genauso viel aus den staatlichen Kassen bekommen. Die Gerechtigkeitsdebatte fände dann vorgeblich nicht mehr zwischen Starken und Schwachen, sondern nur noch zwischen Schwachen und Schwachen statt. Solche Ressentiments werden politisch immer gern benutzt. Der Streit über die Altersarmut dürfte noch einige Überraschungen bringen.

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Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).
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2 Kommentare

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  • M
    Mynah

    Dies ist ein wichtiges Thema, der "romantische Loser" ist herrlich! In den USA kann man schon sehen, wie ein vom Staat verlassenes Rentensystem aussieht.

     

    Aber ich verstehe nicht, warum es "Unterhalb der Gutverdiener" eine Gerechtigkeitsdebatte geben muß.

     

    Sicher: die Schwachen werden gegeneinander ausgespielt. In den USA wird die Ideologie, jeder sei an seiner Erwerbsbiographie selbst schuld, dafür verwendet, eine Solidarisierung zu verhindern.

     

    In Deutschland ist es der Neid.

  • WL
    wolfgang lieb

    Verehrte Frau Dribbusch,

     

    Sie fangen allmählich an zu begreifen, worum es bei den gesamten Rentenreformen der letzten Jahre und vor allem mit der Einführung der Riester-Rente eigentlich ging: die gesetzliche Rente in eine Legitimationskrise zu führen, um damit den Übergang in die völlige Privatisierung der Altervorsorge zu schaffen.

    Vielleicht sollten sie jetzt allmählich auch über die Legitimationskrise der kapitalgedeckten Vorsorge nachdenken und sich z.B. mit den Zusammenbrüchen der Kapitalfonds oder den betrügerischen Renditeversprechen beschäftigen.