piwik no script img

KommentarFingerspitzengefühl erforderlich

Barbara Dribbusch
Kommentar von Barbara Dribbusch

Verdrängen junge polnische Fachkräfte alte Ingenieure aus Deutschland? Die Frage ist berechtigt, und deshalb kann man den Zuzug zunächst beschränken. Aber mit Bedacht.

Bild: taz

Barbara Dribbusch ist taz-Expertin für den Arbeitsmarkt und Sozialpolitik.

Erstaunlich konkret klang der Vorschlag: Möglichst schon von diesem Herbst an soll der Zuzug von Elektro- und Maschinenbauingenieuren aus den EU-Beitrittsländern in Osteuropa erleichtert werden, so lautete gestern ein Ergebnis der Kabinettsklausur in Meseberg. Der Markt für ArbeitnehmerInnen würde damit für bestimmte Berufe aus der akademischen Mittelschicht Richtung osteuropäische EU-Länder geöffnet. Das ist neu.

Ingenieure sind damit zwar nicht die ersten akademischen ArbeitnehmerInnen, die aus Osteuropa nach Deutschland kommen. Bislang schon arbeiten etwa in den neuen Bundesländern polnische Ärzte an deutschen Krankenhäusern. Hier prüfen die Jobagenturen im Einzelfall, ob sich nicht ein deutscher Arzt findet, der bereit ist, in Angermünde oder Guben das Skalpell zu führen. Für Ingenieure bestimmter Fachrichtungen soll diese Vorprüfung entfallen. Dann könnten hiesige Firmen etwa mit Internetportalen im großen Stil IngenieurInnen aus Polen oder Tschechien anwerben. Die soziale Frage hinter dem Vorstoß lautet: Werden Firmen dann von vornherein jüngere Maschinenbauer aus Polen holen - statt etwa hiesige Fachkräfte zu gewinnen, indem man Ingenieurinnen Teilzeitstellen anbietet oder ältere arbeitslose Ingenieure noch zum Vorgespräch bittet? Wie stark wird die Verdrängung sein? Die Frage ist berechtigt, die Politik braucht dafür Fingerspitzengefühl, und es ist angemessen, die Freizügigkeit erst mal auf bestimmte Ingenieurbereiche zu beschränken. Eine Antwort auf die Verdrängungsfrage aber lässt sich jetzt schon schwerlich finden. Schließlich klagen die Firmen darüber, dass sich die erwerbslose Klientel in den Karteien der Jobcenter einfach zu sehr von dem unterscheidet, was die Arbeitgeber brauchen und wollen. Dieses Problem lässt sich nicht lösen, indem man die Grenzen dicht hält. Das hierzulande immer noch gern verbreitete Image der Polen als Schwarzarbeiter, billige Schlachthelfer oder ungelernte Pflegekräfte jedenfalls dürfte sich durch die Akademisierung der Migration wandeln. Und das ist gut.

BARBARA DRIBBUSCH

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).
Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!