Kommentar: Matti war das falsche Opfer
Prozess gegen jungen Antifaschisten endet mit Freispruch. Es bleibt die Frage: Was hat die Staatsanwaltschaft geritten?
Theoretisch hätte der Prozess gegen Matthias Z. auch so ausgehen können: Der 22-Jährige wird wegen versuchten Totschlags zu zehn Jahre Haft verurteilt. Antifas und ein paar Vertreter der Grünen, Jusos und der Linkspartei protestieren vor dem Gerichtsgebäude gegen das Urteil, ohne jedoch auf große Resonanz zu stoßen. Und die Neonazis ziehen sich zurück in ihre Stammkneipe und stoßen an: auf eine neue Strategie, den Antifas als ihren größten Widersachern schmerzhaften Schaden zuzufügen. Dieses Urteil wäre ein verheerendes Signal gewesen.
Dazu ist es zum Glück nicht gekommen. Den Tatvorwurf des "versuchten Totschlags" konnte die Staatsanwaltschaft schon im Frühjahr nicht aufrechterhalten, die Anklage wurde auf "gefährliche Körperverletzung" herabgestuft. Daran hielt sie aber umso hartnäckiger fest. Doch als die beiden einzigen Belastungszeugen - zwei polizeilich bekannte Neonazis - sich selbst zu sehr in Widersprüche verstrickt hatten, musste die Staatsanwaltschaft nachgeben. Am Donnerstag wurde Matthias Z. freigesprochen.
Die Vorwürfe gegen Matthias Z. waren von Beginn an absurd: Sie basierten auf Aussagen von zwei Neonazis; gegen einen von ihnen hatte Matthias Z. in einem anderen Prozess selbst als Zeuge ausgesagt. Dennoch war der Freispruch keineswegs garantiert. Offensichtlich wollte die Staatsanwaltschaft an Matthias Z. ein Exempel statuieren.
Der Übergriff auf die beiden Rechten im November vergangenen Jahres reiht sich ein in eine Serie von gewalttätigen Zusammenstößen zwischen Linken und Neonazis in Lichtenberg, Friedrichshain und Köpenick. Die Zahl rechtsextremistisch motivierter Übergriffe in Berlins Südosten hatte 2006 neue Rekordwerte erreicht. Mindestens 30 Gewalttaten trafen Linke. Diese Angriffe wollten sie sich nicht bieten lassen - und wehrten sich.
Da stellt sich die Frage: Ist es überhaupt Aufgabe der Polizei, Gewalt zwischen Neonazis und Linken mit repressiven Mitteln in den Griff zu bekommen? Initiativen gegen rechts plädieren schon lange dafür, das Problem Rechtsextremismus vor allem über die Stärkung zivilgesellschaftlicher Kräfte anzugehen.
Im Fall von Matthias Z. drosch die Staatsanwaltschaft auf jeden Fall auf den Falschen ein. Es bleibt zwar auch nach dem Freispruch nicht ausgeschlossen, dass der 22-Jährige nicht doch einer der Schläger war. Genauso könnte aber auch jeder andere Berliner verdächtigt werden, der sich gegen Neonazis engagiert.
Mehr als ein Jahr musste sich Z. mit den Vorwürfen abplagen. 101 Tage davon verbrachte er in Haft. Immerhin mangelte es ihm nicht an Unterstützung. Keine linke Demonstration, auf der nicht die Freilassung von Matti gefordert wurde. Kein Prozesstag, an dem nicht auch Dutzende von Unterstützern vor dem Gerichtssaal standen.
Die juristische Auseinandersetzung mag nun ausgestanden sein. Die politische Aufklärung beginnt erst noch. Denn unbeantwortet bleibt: Was hat die Staatsanwaltschaft geritten?
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