Kommentar: Fahne ist nicht gleich Fahne
Die Polizei und ihr unterschiedliches Verhältnis zu Tibet- und Regenbogenfahne
Vor dem Berliner Polizeipräsidium am Platz der Luftbrücke wurde gestern Mittag erstmals die Regenbogenfahne der Schwulen und Lesben gehisst. Damit setze die Polizei in der Hauptstadt "ein Zeichen für Toleranz und Weltoffenheit", teilte die Behörde mit. Mit der Aktion greife die Polizei eine Anregung des Opferhilfe-Projekts Maneo auf. Polizeipräsident Dieter Glietsch unterstütze das Vorhaben. Der innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Frank Henkel, warf Glietsch daraufhin Mangel an Toleranz sowie Spießigkeit vor. Glietsch habe seinen Beamten per Dienstanweisung und mit Verweis auf das Neutralitätsgebot untersagt, Deutschlandfahnen an ihren Streifenwagen anzubringen. "Nun lässt er vor seinem Dienstsitz die Regenbogenflagge hissen. Ich bin erstaunt, wie hier mit zweierlei Maß gemessen wird, was die Neutralität der Polizei betrifft", so Henkel. DPA
Ausgerechnet Toleranzmangel wirft die CDU dem Polizeichef vor, weil dieser am Mittwoch zum ersten Mal am Präsidium in Tempelhof die Regenbogenfahne gehisst hat - und seinen Beamten trotzdem verbietet, mit Deutschlandflaggen am Einsatzwagen durch die Gegend zu kurven. Das finden die Christdemokraten "spießig". Ihre Kritik: Dieter Glietsch messe mit zweierlei Maß. Stimmt, das kann man so sagen. Und Glietsch hat recht mit seinem Vorgehen. Denn Fahne ist nicht gleich Fahne.
So nett und lässig man das allgegenwärtige schwarz-rot-goldene Flattern finden mag: Wer während der Europameisterschaft eine Fahne trägt, ergreift Partei - und grenzt sich damit automatisch von anderen Nationalitäten und ihren Teams ab. Wenn die Beamten ein mit Deutschlandflaggen geschmücktes Auto fahren, dann könnten das die Fans anderer Länder als Provokation auffassen. Eine brenzlige Angelegenheit. Die Polizisten sollen ja gerade deeskalieren - und sind deshalb zu Neutralität verpflichtet.
Bei der Regenbogenfahne sieht es anders aus. Homosexuelle wurden lange benachteiligt, sie kommen erst jetzt in der Mitte der Gesellschaft an. Ihre Flagge steht nicht nur für die Gruppe der Schwulen und Lesben, sondern vor allen Dingen für Gleichberechtigung. Wenn die Polizei vor ihrem Sitz die Fahne der Bewegung hisst, dann setzt sie ein Zeichen für Toleranz. Der Regenbogen ist ein Signal nach innen und nach außen: Auch die Polizei unterstützt - und schützt im Zweifelsfall - die Vielfalt der Lebensweisen in dieser Stadt.
Insofern ergreift die Polizei mit der Regenbogenfahne natürlich Partei - für das, was nach dem Grundgesetz eigentlich selbstverständlich sein sollte. Sie grenzt sich ab von jenen, die Homosexuelle noch immer nicht als gleichberechtigt akzeptieren wollen. In diesem Zusammenhang sei der doch arg strapazierte Satz noch einmal erlaubt: Und das ist auch gut so.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Wahlverhalten junger Menschen
Misstrauensvotum gegen die Alten
Polarisierung im Wahlkampf
„Gut“ und „böse“ sind frei erfunden
Donald Trump zu Ukraine
Trump bezeichnet Selenskyj als Diktator
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Berlinale-Rückblick
Verleugnung der Gegenwart