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KommentarDie Kirche hat doch noch Macht

Kommentar von Stefan Alberti

Ein echter Hammer: Das Volksbegehren "Pro Reli" hat Erfolg in der Stadt der Atheisten.

Es ist sehr überraschend, was in den vergangenen Monaten in Berlin geschehen ist. Wobei das noch untertrieben ist. Denn dass "Pro Reli" einen Volksentscheid über Religion als gleichberechtigtes Schulfach erzwingen kann, ist nicht bloß eine Überraschung, sondern ein echter Hammer.

Denn ist nicht Berlin der Ort, der als "Stadt der Atheisten" verschrien ist? Ist das nicht die Stadt, in der schon ein Kreuzzeichen einen wie einen komischen Sektierer daherkommen lässt? Wo nur rund ein Fünftel evangelisch und noch nicht mal jeder Zehnte katholisch ist? Ausgerechnet hier also haben die großen christlichen Kirchen gezeigt, dass sie doch noch Macht haben, dass sie für eine Initiative mobilisieren können.

Es war allerdings ein Hopp oder Topp, auf das sich die evangelische Landeskirche und das katholische Erzbistum eingelassen hatten. Sie haben von der Kanzel Propaganda gemacht, sie haben per Massenpost Briefe verschickt und ihre Oberen an die Werbefront geschickt, sie haben Einzelne sogar so motiviert, dass sie unrechtmäßigerweise in der S-Bahn Unterschriften sammelten. Sie haben alles gegeben, was sie hatten. Hätte das nicht ausgereicht, um den Volksentscheid zu erzwingen, hätten sich die Kirchen damit selbst das Kainsmal politischer Machtlosigkeit eingebrannt.

So aber stehen die Kirchen erst einmal als machtvoller Player da. Und da nichts anziehender ist als der Erfolg, werden sie diese Rolle durchaus beibehalten können. Weitere Helfer werden dazukommen, weiteres Geld wird fließen. "Pro Reli" hat den großen Vorteil, bereits über ein - offensichtlich sehr gut funktionierendes - Kampagnenteam zu verfügen, das nun zusätzlich motiviert ist und durchstarten kann Richtung Volksentscheid. Die Gegner hingegen, inklusive des rot-roten Senats, stehen vor einem Kaltstart. Kommen sie nicht bald auf Touren, sind die Kirchen auch beim Volksentscheid selbst alles andere als chancenlos.

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Redakteur für Berliner Landespolitik
Jahrgang 1967. Seit 2002 mit dreieinhalb Jahren Elternzeitunterbrechung bei der taz Berlin. Schwerpunkte: Abgeordnetenhaus, CDU, Grüne.

3 Kommentare

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  • MW
    Martin W

    WENDE TAZ ???

     

    Macht hier Erfolg sexy oder wie ?

     

    Vor zwei Tagen war das Volksbegehren zum Wahlpflichfach Reli / Etik noch "Verrat am christlichen Auftrag " und mit übler Polemik, Halbwahrheiten und moralinsaueren Bedenken wurde in der TAZ dagegen "gepredigt" und nun : ein realitische Bericht und positiv bzw. neutraler Kommentar.... da fragt man sich schon :-) .

     

    Ich kann den Organisatoren von Pro Reli nur zu diesem Teilerfolg gratulieren. Endlich bekommen Vertreter der klein geschrumpften "Großkirchen" mal eine Kampagne hin und sind sich nicht zu schade für das in der Verfassung garantierte Recht auf einen von Religionsgemeinschaften selbst verantworteten Unterricht, für religiöse Bildung, auch an den Berliner Schulen einzutreten, Argumete zu bringen und offensiv dafür zu werben.

     

    Es wird spannend den weiteren Verlauf des Volksbegehrens zu verfolgen. Hoffentlich trägt dieses Volksbegehren zu mehr direkter Demokratie bei und hilft mit allen laufenden Diskussionen der Qualtät und der öfentlicehn Anerkennung sowohl des Reli- wie des Etikunterrichts.

  • M
    Mensch

    Das ist doch auch völlig OK!

     

    Atheismus ist eben NICHT gleichzusetzen mit weltanschaulicher Neutralität!

     

    Sogar Gregor Gysi (bekennender Atheist) sagt, daß ihm eine Gesellschaft ohne Gott-gläubige Menschen Angst machen würde... (Dostojewski: "Ohne Gott ist alles erlaubt").

     

    In die gleiche Kerbe schlägt übrigens auch Joschka Fischer...

     

    Die taz sollte sich tunlichst überlegen, die so primitiv anti-religiös daherzukommen!

  • M
    Martin

    Ist schon toll. Eine deutlich kritischere und ehrlichere Bewertung der Aktion kann man von Herrn Schlink lesen.

    Vor allem haben die Kirchen und "Pro-Reli" nämlich eines getan:

    Gelogen, gelogen und gelogen. Sie haben willentlich, bewußt und mit vollem Kalkül mit Falschaussagen, Verzerrungen und Tatsachenverdrehungen gearbeitet.

     

    Und damit haben sie vor allem eins gezeigt: Die Wahl besteht tatsächlich aus Ethik ODER Religion. Beides geht offensichtlich nicht zusammen. Wo der Glaube vorherrscht, da ist für ethisches Verhalten kein Raum mehr. In der Gesellschaft sowenig wie beim Individuum.