■ Kommentar: Schmerzensgemeinschaft
Die Fraktionen von SPD und CDU haben 142 Stimmen. Was andernorts eigentlich selbstverständlich ist, nämlich Einstimmigkeit des Regierungslagers, erwartet in Berlin sowieso keiner mehr von dieser Koalition. Der neue Justizsenator Erhart Körting aber erhielt nur 118 Ja-Stimmen. Ein Votum gegen Körting oder eines gegen die Große Koalition? Wer sah, wie viele CDU- Abgeordnete Körting nach der Wahl gratulierten, kann an der persönlichen Wertschätzung wenig Zweifel haben. Wohl eher machte sich der Unmut der CDU Luft, weil SPD-Fraktionschef Böger sich in einem Interview für rot-grün für die Zeit nach den nächsten Wahlen ausgesprochen hatte.
In das Abstimmungsergebnis mischt sich auch Unzufriedenheit der christdemokratischen Abgeordneten mit der eigenen Parteiführung. Erst macht die SPD in der Frage der Bezirksreform in der Öffentlichkeit Punkte mit der Geschlossenheit in dieser Frage, während die CDU-Spitze mühsam einen total verwässerten Kompromiß zusammenzimmert. Dann präsentiert die SPD ruckzuck einen Nachfolger für Senatorin Peschel-Gutzeit. Im Stillen vorbereitet, fast geräuschlos von der SPD-Fraktion nominiert und drei Tage später gewählt – davon können die CDUler nur träumen. Schließlich müht sich CDU-Chef Diepgen seit Monaten vergeblich, einen Nachfolger für Wirtschaftssenator Pieroth zu finden. Bögers Liebäugeln mit rot-grün ist eine bewußte Provokation der genervten CDU, die weiß, daß sie keinen anderen Partner hat. Der Wahlakt ist deshalb eine Momentaufnahme, in der es nicht um Körtings Qualitäten ging, sich vielmehr die Gereiztheit und Brüchigkeit der Schmerzens- Gemeinschaft zeigt. Gerd Nowakowski
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