■ Kommentar: Sprach-Blähungen
Seit die Politikverdrossenheit vor allem von Politikern im Munde geführt wird, ist sie zu einem Gemeinplatz verkommen, mit dem die Verursacher in gelungener Verdrehung der Verhältnisse sich zu deren Opfer stilisieren. Sie simulieren Betroffenheit, wo sie doch Verantwortung zu übernehmen hätten. Das Gerede vom Unmut der Bürger, das auch die gestrige Debatte des Abgeordnetenhauses bereicherte, war der hilflose Versuch, diesen für die eigene Sache zu vereinnahmen, indem man kurzerhand die Ursache des Verdrusses beim politischen Gegner oder den allgemeinen Umständen ortete. Dabei ist es gerade diese Mischung aus Omnipotenz, Sprach-Blähungen und Handlungsohnmacht, die Anlaß zu Politikverdrossenheit geben. Da dienen „Innovationen“, „Modernisierung“, „Bündelung der Kräfte“, „aufgeklärter Patriotismus“, „nationale Verantwortung“ und die übrigen Worthülsen, die die Debatte beherrschten, dazu, das eigene Unvermögen zu kaschieren.
Niemand in der Stadt glaubt mehr, daß der Senat den Umzug der Bundesregierung bewirkt. Auch wenn er gerne das Gegenteil glauben macht, aus Bonner Sicht ist er eine zweitrangige Größe. Niemand spricht ihm maßgeblichen Einfluß auf Investorenentscheidungen zu, auch wenn er sich häufig so verhält. Auch wird er nicht das Problem der Arbeitslosigkeit lösen, doch kann er einen Beitrag dazu leisten. Die Verkürzung der Arbeitszeit im öffentlichen Dienst ist der spannendste Vorschlag, der im Preußischen Landtag seit langem diskutiert wurde. Er birgt Beschäftigungsmöglichkeiten, und es liegt in der Kompetenz der politischen Instanzen, ob sie ihn umsetzt. An diesem Vorschlag wird sich in den nächsten Wochen konkretisieren, ob der Senat tatsächlich „Innovationen“ will und eine „Modernisierung“ anstrebt. Dieter Rulff
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