■ Kommentar: Außerhalb des Rasters
Die Räumung der East Side Gallery war absehbar. Daß sich gegen die Polizeiaktion kein größerer Protest regen würde, ebenso. Niemand, selbst nicht die Grünen, hatte an einer Versetzung der Wagenburgler noch Zweifel angemeldet, als ein junger Mann auf dem Gelände getötet wurde. Es ging nur noch um die Art und den Zeitpunkt der Abwicklung – dem hat Innensenator Schönbohm nun auf seine Art vorgegriffen.
Die Wagenburgen sind vielen ein Ärgernis, weil ihre Bewohner außerhalb bürgerlicher Formen ihr Leben leben und mit einer auf Repräsentanz und Verwertung ausgerichteten Gesellschaft notgedrungen querliegen müssen. Daß Konservative sich über Wagenburgen ärgern, mag wohl kaum überraschen. Doch auch im linksliberalen Spektrum gibt es ein gerüttelt Maß an Heuchelei: Die Anwesenheit der Wagenburgler wird geduldet, solange diese ein Mindestmaß an gesellschaftlichen Konventionen berücksichtigen. Darauf haben sich manche Bewohner eingestellt: In vielen Medienberichten fehlt fast nie der Verweis auf alternative Lebensformen, auf Biotonne, Solardach und Pflanzenzucht.
Das sichert ihnen nicht zuletzt die Unterstützung der linksliberalen Akteure. Ohne deren politischen Druck wären viele schon längst geräumt worden. Die East Side Gallery aber verletzte alle Raster. Hier lebten Menschen einfach im Müll, schufen sich ihr Reich diesseits sämtlicher, auch alternativer Regelwerke. Selbst andere Wagenburgen wollten mit den Outlaws der East Side nichts zu tun haben. Wohl auch deshalb wird sich, selbst bei den Gutmeinenden dieser Stadt, kaum mehr als lauer Protest regen. Severin Weiland
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