■ Kommentar: Sozial inkompetent
Medizinische Versorgung läßt sich nicht ausschließlich anhand der Einwohnerdichte pro Quadratkilometer berechnen. Es mag sein, daß Wohnstadtteile auf eine Unfallchirurgie in unmittelbarer Nähe verzichten können, in deren verkehrsberuhigten Zonen es weniger häufig zu schweren Auffahrunfällen kommt, und deren Einwohnerschaft Meinungsverschiedenheiten über den intellektuellen Diskurs beizulegen pflegt.
Wo aber täglich Zigtausende ortsunkundige Touristen durch die Straßen brettern, besoffene Fußballfans sich oder Unbeteiligten die Schädel einhauen, Kiez-Größen zu der einen oder anderen Wochenend-Schießerei neigen und, vor allem, Menschen leben, die aus dem ganz banalen Grund häufiger krank werden, weil sie arm sind und sich private Gesundheitsprävention nicht leisten können – dort also, auf St. Pauli eben, ist es sozial- wie gesundheitspolitisch unzulässig, ein intaktes und kostengünstig wirtschaftendes Krankenhaus dichtzumachen.
Gesundheitspolitisch deshalb, weil mit der Schließung des Hafenkrankenhauses soziale Kompetenz verloren ginge: Es ist häufig eine Frage von Leben und Tod, ob die Klinik in drei Minuten zu erreichen ist oder ob Notfallpatienten in die Hospitäler von Altona, Eppendorf oder St. Georg befördert werden müssen.
Und sozialpolitisch, weil die Stadt ihr eigenes Ziel der „Armutsbekämpfung“ konterkariert: Wer vorgibt, künstlich quartiersbezogene Jobs in sozial benachteiligten Gebieten schaffen zu wollen und zugleich Hunderte bereits bestehende auf dem Kiez vernichtet, hat an Glaubwürdigkeit nichts mehr zu verlieren. Heike Haarhoff
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen