■ Kommentar: Energieverschwendung
Politische Kurzsichtigkeit ist offenbar eine ansteckende Krankheit. Gerade so, als hätte der Senat in einem Überraschungscoup über Weihnachten heimlich den Verkauf der Bewag-Anteile ausgebrütet, fegt uns seit Tagen ein Sturm immer neuer – und zum Teil immer gleicher – Alternativen entgegen: Die Bewag nicht verkaufen, heißt es allüberall, sondern einen Öko- Fonds gründen, eine Holding aller Berliner Eigenbetriebe, ein Kreuzgeschäft mit den Hamburger HEW et cetera.
Diese Vorschläge waren zeitlich gut auf den SPD-Parteitag und das daraus resultierende Medienecho abgestimmt. Doch der wirkliche Wert der Ideen tendiert gegen Null. Denn der Verkauf von 25 Prozent der Bewag-Aktien wurde bereits vor einem Jahr beschlossen, und schon damals war wahrscheinlich, daß es dabei nicht bleiben würde: Das Haushaltsloch für 1996 war dank Fugmann-Heesings beständiger Kassandrarufe bekannt. Nun wird seit drei Monaten über den Totalverkauf diskutiert, ohne daß es Alternativszenarien gegeben hätte. Rühmliche Ausnahme dabei sind die Grünen, die vor einem Jahr das Kreuzgeschäft mit der HEW vorschlugen. Alle anderen, ob nun SPD, PDS, DGB, DAG oder ÖTV, haben den Zeitpunkt für Alternativen, die diesen Namen wert sind, verschlafen. Denn die Verhandlungen mit den Stromgiganten stehen kurz vor dem Abschluß, und die Beschäftigung mit Alternativvorschlägen kostet Zeit. Die aber fehlt der Finanzverwaltung ebenso dringend wie die Milliarden zur Sanierung. Die Energie, die jetzt in die Vorschläge investiert wird, hätte vor einem Jahr aufgebracht werden und zu einer Diskussion um Berliner Energiepolitik führen sollen. Jetzt ist sie verschwendet. Bernhard Pötter
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