Kommentar: Auslese
■ Warum die Hamburger Lehrstellenbilanz eben doch nur eine Leerstellenbilanz ist
„1000 neue Lehrstellen!“lautete das hehre Ziel von Wirtschaft und Politik noch Anfang des Jahres, verkündet am Tisch des Bürgermeisters persönlich. 2000 Lehrstellen zu wenig, lautet nun die Zwischenbilanz dieses honorigen Bündnisses für Ausbildung. Ein deutlicheres Armutszeugnis kann sich Hamburgs Wirtschaft kaum ausstellen, genau fünf Monate bevor das neue Ausbildungsjahr '97 beginnt.
Doch die Betriebe scheinen es sich leisten zu können. Viele potentielle Ausbildungsstätten rümpfen schon angesichts der angebotenen Ware Lehrling die Nase. Denn der Auszubildende von heute weist ihrer Meinung nach Qualitätsmängel auf. Schule, so lautet das Credo dieser Herren, soll gefälligst den maßgeschneiderten Azubi liefern: Praxisorientiert, pflegeleicht, behaftet mit gutem Allgemeinwissen, mathematischen Fähigkeiten, EDV-Kenntnissen und flüssigem Englisch in Wort und Schrift.
Wer dieses Gardemaß nicht erreicht, der muß eben Fleischer werden. Denn was zählt, ist einzig der Berufseinstieg, egal wie und wo. Jugendliche von heute wissen das. Sie nehmen oft, was sie kriegen können, denn ansonsten droht ihnen die „Parkmaßnahme“, in der sie die Kunst des Bewerbungsschreibens erlernen. Traumberufe sind für die Mehrzahl der kids eh out. Wer denen noch nachhängt, ist ein unverbesserlicher Romantiker.
Die Wirtschaft in Hamburg lacht sich derweil ob dieser Optionen ins Fäustchen. Eine gelungenere Form der „natürlichen Auslese“war ihr seit Jahrzehnten nicht mehr vergönnt.
Karin Flothmann
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