■ Kommentar: System Haase
Korruption, Ämterfilz und Unfähigkeit, so hieß es in den siebziger Jahren über die damals in West-Berlin regierenden Sozialdemokraten, seien kein Grund für einen Rücktritt. Eine Senatskrise gebe es allenfalls, wenn es zum Dauerstau auf der Stadtautobahn komme. Verändert hat sich seitdem offenbar nichts, weder daran, wie die Berliner die hiesige Politik klaglos erdulden, noch, wie sie hier praktiziert wird. Da stolpert der Parlamentspräsident Herwig Haase in rapide kürzer werdenden Zeitabständen von Skandal zu Skandal, doch erst das Kettensägen- Massaker an einigen Bäumen hinter seiner Grundstücksgrenze bringt die Stimmung in der Stadt zur Wallung. Woraufhin den bislang völlig ahnungslosen Sozialdemokraten die Augen über Haases schändliches Treiben aufgehen und sie blitzschnell und mit beispielhaft brutaler Härte den Koalitionspartner CDU bitten, doch darüber nachzudenken, „ob Haases Verbleiben geeignet ist, das Ansehen des Berliner Parlaments zu wahren“.
Auch in der CDU mag man sich nach dem Baumfrevel nicht mehr hinter Haase stellen. Wir lernen daraus, daß ein Versagen als Verkehrssenator, die Verhöhnung von Holocaust-Opfern oder ein geplantes Treffen mit einem italienischen Neofaschisten gering wiegt gegenüber zersägten Baumstämmen. Verkehrte Welt? Nein, nur ein nahezu zwangsläufiges Ergebnis jener Pfründenwirtschaft, die in dieser Stadt Politik genannt wird.
Zum System gehört deswegen auch, daß das Kapitel Haase noch längst nicht beendet ist, auch wenn seine Tage als Parlamentspräsident gezählt sind. Zum Amtsverzicht muß nämlich noch ein kleines Abschiedsgeschenk gefunden werden. Wir dürfen deshalb gespannt sein, in welcher Position uns Haase künftig begegnen wird: Vielleicht ist ja noch ein Posten neben Ex-Olympia-Chef Nawrocki bei der S-Bahn frei oder der gutbezahlte Job als Leiter des Forstamts. In Betracht käme auch die Funktion als Berater der Bundesregierung zu Fragen der italienischen Außenpolitik, als Direktor des Instituts zur Psychologie des Geisterfahrers oder ein Sitz im Bundestag. Für qualifizierte Männer findet sich immer ein Job; garantiert. Gerd Nowakowski
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen