■ Kommentar: Hertha als Politikersatz
„Berlin und seine Visionen“ ist ein trauriges Kapitel. Lagen sie jahrelang im Schatten des „antifaschistischen Schutzwalls“, wurden sie nach dem Mauerfall mit Olympiabewerbung und Regierungsumzug neu entfacht, um dann als Pleite und Posemuckel in die Geschichte der Stadt einzugehen. In der „Werkstatt der Einheit“ fehlt selbst für das Werkzeug das Geld, und auch Berlin als „osteuropäische Drehscheibe“ will nicht so recht in Schwung kommen. Berlin ist Weltmeister im Beschwören von Visionen. Bei deren Umsetzung jedoch gelang der Stadt nicht der Aufstieg in die erste Liga. Zehn SenatorInnen und ein Bürgermeister spielten in den vergangenen Jahren in wechselnder Aufstellung. Statt jedoch den Ball ins Tor zu katapultieren, landete er zu oft im Aus. Zu viele Niederlagen ließen die Polit- Fangemeinde auf einen kleinen Haufen zusammenschrumpfen, ähnlich dem hartgesottenen Kern der Hertha-Fans, der selbst die größte Niederlage hinnahm.
Da wundert es nicht, wenn nun eine ganze Stadt zum Hertha- Fanclub wird. Es ist nicht das im Ku'dorf in der Joachimstaler Straße versprochene Freibier bei einem Sieg von Hertha, das elf Spieler und einen Ball zum Hoffnungsträger einer Stadt werden läßt. Enttäuscht von Politk und Wirtschaft, haben die Berliner mit den wiederauferstandenen Hertha-Spielern nach langer Durststrecke endlich etwas gefunden, womit sie sich identifizieren können, worauf sie ihre Hoffnungen projizieren können. Bleibt Hertha in der Bundesliga, sind wir wer. Diese Verlagerung der enttäuschten Hoffnungen auf den Rasen haben auch die visionsgeübten Politiker erkannt. Mit vollmundigen Siegeserwartungen tun sie so, als ob der Aufstieg von Hertha irgendwie auch ihr Verdienst sei. Das aber ist er nicht. Er lenkt nur von ihrem eigenen Abstieg ab. Barbara Bollwahn
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