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KommentarWer verübt die Massaker?

■ Die EU macht sich zum Komplizen des algerischen Regimes

Trotz aller anderslautenden Beteuerungen ist Algeriens Regierung nicht in der Lage, die Bevölkerung des Landes zu schützen. Spätestens seit dem Massaker in Sidi Hamad vom Sonntag ist klar: Die Bewaffneten Islamischen Gruppen (GIA) morden weiter in unmittelbarer Umgebung der Hauptstadt Algier, genau dort, wo sie nach einer Großaktion der Armee schon für besiegt erklärt worden waren.

Der Überfall auf Sidi Hamad erinnert an die Schreckensnächte von Rais und Bentahla. Wieder konnten rund hundert Männer ungestört in einem Dorf wüten, das mitten im Sicherheitsgürtel rund um die Hauptstadt liegt. Die Frage, die bereits im Spätsommer unbeantwortet blieb, stellt sich erneut: Wie ist so etwas möglich?

Geht es um die Erdölfelder in der Sahara oder um den großen Raffineriehafen Arzew im Westen des Landes, scheut die Regierung keinerlei Mühe, um die Sicherheit zu gewähren. Geht es um die arme Landbevölkerung, sind die Sicherheitsvorkehrungen ungleich schwächer. Die Armee schaut weg, die örtlichen Vertreter der Macht fühlen sich oft nicht einmal nach den Überfällen genötigt, den Opfern Gehör zu schenken. Schließlich haben die meisten von ihnen einst die verbotene Islamische Heilsfront (FIS) gewählt. Andere Stimmen gehen gar noch weiter und bezichtigen die Regierung der direkten Mitverantwortung am Terror. Deserteure aus Armee und Polizei behaupten immer wieder, die Sicherheitskräfte selbst seien für einige Massaker verantwortlich, andere seien das Werk von GIA-Kommandos, die der übermächtige militärische Geheimdienst unterwandert habe. Am Sonntag füllten solche Aussagen einmal mehr die Seiten des britischen Observer. Man mag sie als unglaubwürdig abtun. Doch zu denken gibt, daß jene Zeugen, die sich als ehemalige Offiziere vorstellen, im Unterschied zur Regierung bereit sind, vor einem internationalen Untersuchungsausschuß auszusagen.

Die EU-Troika hat nun in Algier vorgeschlagen, bei der Terrorismusbekämpfung behilflich zu sein und mit humanitären Leistungen die größte Not zu lindern. Doch damit ist es nicht getan. Wer in einer solch wirren Situation die Herrschenden in Algier besucht, ohne auf einer unabhängigen Klärung dieser Vorwürfe zu bestehen, macht sich zum Komplizen – zumal das Regime in Algier breite Schichten der eigenen Bevölkerung dem Terror überläßt. Reiner Wandler Berichte Seite 10

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