■ Kommentar: Realität wirkt störend
Berlin hat gestern wieder bewiesen, daß bei der Entwicklung politischer Strategien die Erfahrung von Realität nur als störendes Element empfunden wird. Da besucht Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) den künftigen Regierungssitz, um sich vor Ort ein Bild von der Sicherheitslage der Stadt zu machen. Und was erwartet ihn? Ein U-Bahnhof, auf dem es von Zivilbeamten wimmelt, ein U-Bahn-Ausgang, an dem Graffiti und der Dreck übertüncht wurden. Der dichte Schleier zwischen Realität und der Vorstellung von der gefährdeten inneren Sicherheit muß – koste es, was es wolle – aufrechterhalten werden.
„Erich Honecker läßt grüßen“, kommentiert die Gewerkschaft der Polizei den Auftritt des Ministers. Auch der Staatsratsvorsitzende der DDR hatte sich immer nur die Realität zeigen lassen, die in sein Weltbild hineinpaßte.
Die Berliner Bürokratie hat Kanther keine Chance gegeben, sich tatsächlich ein Bild von Dreck oder Kunst, vom Berliner Alltag vor Ort zu machen. Doch der Innenminister braucht diese Realität auch nicht. Mit seinem Vorsatz, „Berlin ein sympathisches Sicherheitsantlitz zu geben“, hat Kanther von vornherein klargemacht, daß es nicht um das Antlitz Berlins geht, sondern um die Konstruktion einer Sicherheitsfassade. Was hinter der Fassade passiert, soll künftig ebensowenig interessieren wie bei dem gestrigen Auftritt. Barbara Junge
Bericht Seite 22
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