■ Kommentar: Vorfahrt für die Taktik
Jede Partei kann sich glücklich schätzen, vier erstklassig qualifizierte KandidatInnen für den Bundestag zu haben. Besseres kann Bündnis 90/Den Grünen überhaupt nicht passieren, als daß die Mitglieder am kommenden Wochenende eine wirkliche Wahl haben. Daß die Erwartungen darüber, wer an der Spitze der Liste steht, kurz vor der Nominierung noch einmal durcheinandergeraten, spricht somit nicht gegen, sondern für die Partei. Anders als bei anderen Parteien führt bei den Bündnisgrünen eben kein Politbüro hinter den Kulissen die Regie, bei der die Basis dann nur noch die Kandidaten abnicken darf.
Dafür aber haben die Bündnisgrünen ganz andere Probleme – die im Endeffekt genauso problematisch sind wie ein Diktat der Parteispitze. Zu befürchten ist, daß am kommenden Samstag nicht die offene Auseinandersetzung um die Stärken der KandidatInnen im Vordergrund stehen wird, sondern die taktische Frage, wer für welchen Platz antritt.
Die Auswahlkriterien werden den Mitgliedern wieder einmal auf die Füße fallen. Auf den ersten Platz muß eine Frau gewählt werden. Ein Mann kann allenfalls auf dem zweiten Platz nominiert werden, weil Platz drei wieder eine Frau sein muß. Und in den Köpfen, wenn auch nicht mehr in der Satzung, ist der Anspruch verankert, auch ein/e Ost-VertreterIn aufzustellen. So wird die Frage der Qualität zum Quoten-Roulett.
Nichts spricht dagegen, auch eine reine Frauenliste zu nominieren. Aber was spricht acht Jahre nach der Wende noch für einen Ossi-Bonus? Und warum kann nicht auch ein Mann auf Platz eins der Liste stehen? Dem Wahlvolk ist dieses rigide Verfahren wohl kaum noch zu vermitteln oder im besten Falle egal. Die Bündnisgrünen aber werden sich am Samstag damit um so schwerer tun. Zu bedauern braucht man sie dafür aber nicht. Gerd Nowakowski
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