Kommentar: Der Kater nach dem Sieg
■ Frankreich: Papierlose Einwanderer klagen Menschenrechte ein
Nachdem Frankreich Fußballweltmeister geworden war, geriet die Behauptung in Umlauf, diese Leistung habe etwas mit der speziellen französischen Integration zu tun. Plötzlich krakeelte ein großer Teil der Landsleute von Descartes: „Allez les Bleus“ und „Dank unserer Blacks sind wir besser“. Die Formel funktionierte einen Siegestaumel lang. Selbst im Ausland war bei den üblichen Verdächtigen nachzulesen, daß der Erfolg der französischen Nationalelf etwas mit Politik und Staatsangehörigkeitsrecht zu tun habe. Inzwischen haben sich die meisten ZeitgenossInnen wieder daran erinnert, daß sportliche Medaillen bislang noch nirgends einen Rückgang von Rassismus bewirkt haben. Weder in den USA noch in Frankreich, wo ein aus Nordafrika stammender Sportler wie Alain Mimoun schon lange vor dem aus Marseille stammenden Immigrantensohn Zizou ein vorübergehend bejubelter Junge war.
Tatsächlich zeigt sich die Integrationsfähigkeit und -bereitschaft einer Gesellschaft nicht etwa an ihren Spitzen, sondern in ihrer Mitte. Und genau da hapert es in Frankreich gegenwärtig. Während zum Beispiel Italien, aber auch Frankreich selbst am Anfang der 80er Jahre in ebenso großzügigen wie pragmatischen Behördenakten allen klandestinen ImmigrantInnen auf ihrem Territorium Papiere gaben, und während sich jetzt sogar das wirtschaftlich schwächere Griechenland anschickt, die Situation von 250.000 klandestinen ImmigrantInnen zu regularisieren, wagt die rot-rosa-grüne Regierung in Paris diesen Schritt nicht. Statt dessen betreibt sie eine Politik, die die Situation der „Papierlosen“ verschärft.
Die Vergabe von Aufenthaltspapieren an 70.000 integrationsbereite Menschen ist für Frankreich kein wirtschaftliches Problem. Politisch und menschlich sind 70.000 Klandestine jedoch eine schwere Hypothek. Sie sind skrupellosen Geschäftemachern schutzlos ausgeliefert, und politische Extremisten betreiben auf ihrem Rücken Propaganda. Lionel Jospin und sein Innenminister Jean-Pierre Chevènement dürfen sich nicht wundern, wenn sich nun erneut eine Immigrantenbewegung formiert. Daß die politisch eher links stehenden und kulturell eher islamischen Papierlosen inzwischen sogar den Papst um eine Vermittlung gegenüber der rot-rosa-grünen Regierung rufen, zeigt, wie verzweifelt ihre Lage ist. Dorothea Hahn
Bericht Seite 8
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