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KommentarEin deutscher Machtwechsel

■ Rot-Grün kommt - aber was wird sich ändern?

Die Deutschen haben Kohl gestürzt, und es ist, als erschreckten sie ob dieser Ungeheuerlichkeit über sich selbst. Nur die Union scheint erleichtert zu sein, daß sie endlich die Regierungsverantwortung los ist und mit Rot-Grün einen Gegner hat, gegen den sie sich als Bürgerblock reorganisieren kann. Verunsicherte Sieger, frohe Verlierer. Ein deutscher Machtwechsel.

Es wird eine rot-grüne Bundesregierung geben – aber sie ist kein Wunschkind, sondern geboren aus Pragmatismus und einem Mangel an Alternativen. Kein Aufbruch, keine politischen Leidenschaften, sondern Business as usual. So reagierte gestern auch die Börse: gelassen. Denn wirtschafts- und sozialpolitisch wird es mit Schröder keine Experimente geben. Die SPD hat bereits durchblicken lassen, daß sie ihre ohnehin vagen Wahlkampfversprechen sanft zurücknehmen wird. Und die Grünen werden gegen den überragenden Wahlsieger Schröder keine fundamentale ökologische Umorientierung der Gesellschaft durchsetzen können.

Wird dies also die Fortsetzung der Kohl-Ära mit anderen Gesichtern? Nicht ganz. Daß Deutschland eine Mitte-links- Regierung bekommt, liegt im europäischen Trend. Auch die Deutschen wollen, wie Briten und Franzosen, einen gezähmten, sozial abgefederten Kapitalismus. Schröder scheint dies zu garantieren – auch dafür ist er gewählt worden.

Innenpolitisch könnte es allerdings in den nächsten Monaten turbulent werden, wenn Rot-Grün das Staatsangehörigkeitsrecht reformiert, ein Einwanderungsgesetz auf den Weg schickt und die Schwulenehe beschließt. Die Union wird die Gelegenheit ergreifen und das Schreckensbild eines Ausverkaufs deutscher Interessen an die Wand malen. Sie und die rechtsextremistischen Parteien werden einen Kulturkampf gegen Rot-Grün vom Zaun brechen. Mit welcher Wucht dieser geführt werden kann, zeigte sich 1989 in Berlin, als die rot-grüne Landesregierung Tempo 100 auf der Avus durchsetzte und das kommunale Wahlrecht für Ausländer einführen wollte. Schulter an Schulter sammelten „Republikaner“ und CDU dagegen Unterschriften. Und auf der Avus wüteten Kleinbürger mit allem, was ihre Autos an PS hergaben. Diese Auseinandersetzung wird um so heftiger werden, da Schröder Kohls Wirtschaftspolitik in den Grundzügen weiterführt und dort keine Angriffsfläche bietet. Interessante Aussichten. Stefan Reinecke/Eberhard Seidel-Pielen

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