Kommentar: Kein guter Start
■ Berliner Jahrtausendfeier wird privatisiert
„Mythos Berlin“ hieß die zentrale Ausstellung, mit der der Senat zur 750-Jahr-Feier 1987 und damit zur Westberliner Standortbestimmung angetreten ist. Es war eine Standortbestimmung durch Annäherung – an die politischen, sozialen, vor allem aber die kulturellen Realitäten einer Stadt, die wie keine andere von Brüchen lebte statt von Traditionen.
Seitdem hat sich in Berlin viel verändert. Eine Stadt der Brüche ist Berlin aber geblieben. Und zu welchem Anlaß hätte man sich dieser Kontinuität der Diskontinuität besser nähern können als zur Jahrtausendwende? Immerhin steht am Ende der Silvesternacht 1999 nicht nur ein neues Jahr, sondern, zumindest symbolisch, die ungewisse Zukunft. Die nötige Besinnlichkeit, da hätten sich die Veranstalter keine Sorgen machen müssen, hätte das Publikum mit Sicherheit mitgebracht. Schließlich symbolisiert der Wechsel ins nächste Jahrtausend in den allermeisten Köpfen auch die Furcht vor immer neuen Anfängen, immer neuen Risiken und Handlungszwängen, mit denen die postmodernen Lebenswelten schon heute unmittelbar verknüpft sind.
Eine Annäherung an diese Furcht hätte immerhin bedeutet, daß der Senat die Lebensrealität der meisten Berliner und damit auch die Realität der Stadt zur Kenntnis nimmt und die Möglichkeit gibt, diese Unsicherheit vor der Zukunft öffentlich zu verhandeln. Als Standortbestimmung im Sinne der Ausstellung Mythos Berlin und nicht als gigantisches Feuerwerk à la „Sat.1, ich drück' dich“.
So aber geht der Senat scheinbar auf Nummer Sicher, plant eine kleine, aber teure Feier, finanziert durch eine in diesem Ausmaß bislang nicht gekannte Privatisierung des Stadtraums.
Natürlich ist der Umstand, daß in Berlin Kosten für derartige Spektakel auf die Bezirke abgewälzt werden und die Festivalisierung der Stadtpolitik vorangetrieben wird, nichts Neues. Neu ist allerdings, daß gerade in jenem Jahr, in dem die Regierung ihren Umzug abschließt, die Privatisierung der Res publica, der öffentlichen Angelegenheiten, in ihrer Hauptstadt einen symbolischen Höhepunkt findet. Kein gutes Zeichen für Berlin. Und kein guter Start für die Berliner Republik. Uwe Rada
Bericht Seite 25
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