Kommentar: Von Europa lernen
■ Ein erfolgreiches "Bündnis für Arbeit" muß auch Lohnfragen verhandeln
Sollen die Beschäftigten auch künftig auf satte Lohnsteigerungen verzichten, um damit was Gutes für die Arbeitslosen zu tun? Oder brächte das sowieso nichts? Das ist die aktuellste Gerechtigkeitsfrage. Zum Jahresende warf Wirtschaftsminister Müller eine neue Variable in diese Diskussion.
Da die Beschäftigten jetzt doch mehr Kindergeld bekämen und überhaupt weniger Steuern zahlen müßten, könnten sie sich ein bißchen mäßigen in ihren tariflichen Forderungen, mahnte Minister Müller. Damit erinnert Werner Müller indirekt an frühere Äußerungen von DGB- Chef Dieter Schulte, der vage tarifliche Mäßigung in Aussicht gestellt hatte, wenn die Beschäftigten von staatlicher Seite entlastet würden. Die Müllersche Intervention ist interessant, weil zum ersten Mal staatliche Maßnahmen gegen tarifliche Forderungen aufgerechnet werden.
Die Gewerkschaften halten dagegen: Erstens profitiere nicht jeder vom höheren Kindergeld, zweitens müßte die Binnennachfrage durch höhere Löhne gestärkt werden, und drittens habe Müller nicht reinzureden in die Tarifautonomie. Stimmt alles, dennoch ist die gegenwärtige Lohn- und Jobpolitik absurd.
Da gibt es als quasi ranghöchstes Gremium ein „Bündnis für Arbeit“, zu dem mit großen Medien-Tamtam der Bundeskanzler die Verbandshäuptlinge der Arbeitgeber und Gewerkschaften nach Bonn lädt. Dann werden demnächst vielerorts Tarifverhandlungen geführt mit ein paar weniger wichtigen Häuptlingen, aber dafür spricht man über Konkretes: die Löhne. Und die rot-grüne Regierung werkelt an diversen Gesetzestexten zu Steuern und Lohnnebenkosten. Deutschland konferiert. Über gegenseitige Zumutbarkeiten wird nicht gesprochen.
In den benachbarten europäischen Ländern war das anders. Empirische Studien am Kölner Max-Planck-Institut ergaben, daß in den offenen und heimlichen „Sozialpakten“ in Europa die Lohnzurückhaltung eine wichtige Rolle spielte, sei es in den Niederlanden, sei es in Dänemark. Im „Bündnis für Arbeit“ hierzulande jedoch ist die Lohnstruktur tabu. Dabei ist die Lohnfrage mehr als nur ein Machtspiel zwischen den Tarifparteien. Wird sie nicht gesellschaftspolitisch ernster genommen, wird auch niemand das „Bündnis für Arbeit“ ernst nehmen. Dann wird es weiter nur Gremien, aber kein Bündnis geben. Heute nicht und morgen nicht. Barbara Dribbusch Bericht Seite 6
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