Kommentar: Jeden Sonntag eine neue Wahl!
■ Für Gerhard Schröder ist der Koalitionsvertrag keine Bibel
So, so, Gerhard Schröder hält eine moderne Gesellschaft wie die unsere für komplizierter als einen Koalitionsvertrag. Seinen Interviewpartnern Peter Gauweiler und Klaus Bölling werden an dieser Stelle die Münder offenstehen geblieben sein. Bevor sich die beiden alten Haudegen jedoch erholen konnten, legte der Kanzler nach: Der Koalitionsvertrag mit den Grünen sei auch keine Bibel, aus der man gutes oder schlechtes Verhalten ableiten könnte. Man weiß gar nicht, was man mehr bewundern soll: daß der Kanzler so komplizierte Dinge so einfach formulieren kann oder daß er sie mit einer Ernsthaftigkeit vorträgt, als sei er Habermas und Sloterdijk in einer Person.
Schröder wird wissen, daß es banal ist, was er sagt. Ihm kommt es auch nur auf die öffentliche Provokation an. Seit dem Debakel bei der Hessenwahl möchte er sich von allem möglichen absetzen: vom Koalitionsvertrag, von den Grünen, von Trittin, von der Atomrechtsnovelle, von der SPD, von Lafontaine. Und dabei ist ihm jede Aussage recht, wenn sie der Öffentlichkeit nur eines signalisiert: Rot-Grün, das ist vor allem Gerhard Schröder und seine Politik der neuen Mitte. Wichtig ist dem Kanzler dabei nicht, daß kaum einer weiß, was „Schröder“ und „neue Mitte“ eigentlich bedeuten. Ihm genügt allein die Botschaft.
Der Niedersachse zieht die Konsequenzen daraus, daß das Ansehen der Bundesregierung in den jüngsten Umfragen rapide gesunken ist. Zum ersten Mal seit Januar 1997 liegt die SPD wieder hinter der Union. Gerade den Stimmungspolitiker Schröder muß das treffen. Also macht er wieder das, was er am besten kann: Wahlkampf. Er setzt das System Schröder gegen die Vorstellung, daß Reformpolitik ihren Wählern heutzutage auch etwas zumuten muß, wenn sie nicht an der Lebenslüge des ewigen „Weiter so“ festhalten will.
So paradox es klingt, die vielen Landtags- und Europawahlen in diesem Jahr kommen dem Kanzler gerade recht. Die Wahlen werden, ebenso wie die in Hessen, bestätigen, wovon Schröder ohnehin überzeugt ist: Die Mitte in Deutschland will Sicherheit, sie fürchtet die Reform. Also erklärt er genau das zu seinem Konzept. Man müsse eine Politik betreiben, vertraute er Gauweiler und Bölling an, die so tut, als wären jeden Sonntag Neuwahlen.
Dann hätte Schröder, so möchte man noch hinzufügen, jede Woche einen neuen Koalitionsvertrag, an den er sich nicht halten muß. Jens König Bericht Seite 4
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