Kommentar: Kapital nötigt Regierung
■ Steuern: Unternehmen drohen mit Flucht aus Deutschland
Mehr soziale Gerechtigkeit nach 16 Jahren Umverteilung von unten nach oben. Vor allem mit diesem Versprechen hat Rot- Grün die Bundestagswahl gewonnen. Schließlich ist die Besteuerung der Unternehmensgewinne von 38 Prozent zu Beginn der achtziger Jahre auf 24 Prozent (1998) zurückgeschraubt worden. Gleichzeitig stieg die Belastung der Masseneinkommen mit öffentlichen Abgaben. Trotz Steuerentlastungen der Unternehmen sind die Sachinvestitionen nicht gestiegen, wurden weiter Arbeitsplätze abgebaut.
Konsequenterweise faßten die rot-grünen Koalitionäre im Regierungsvertrag den Beschluß, mehr Steuergerechtigkeit herstellen zu wollen. Dazu gehörte die Absicht, über 80 Privilegien der Wirtschaft abzubauen, die Deutschland im internationalen Vergleich zu allem anderen als einem Hochsteuerland machen. Im Ausland sind Abschreibungen, Rückstellungen, Verlustzuweisungen in dieser Dimension nicht bekannt. Mit einem Aufschrei gegen die geplanten Einschränkungen von Steuergeschenken an die Unternehmenswirtschaft war zu rechnen.
Aber die Massivität mußte nicht nur die Abgeordneten der Regierungsparteien bei den Anhörungen im Finanzausschuß des Deutschen Bundestags überraschen. Die Erfahrung ist schlicht und bitter zugleich: Hinter jedem Steuerprivileg sitzt eine mächtige Wirtschaftslobby. Leider hat die Bundesregierung deren Druck zum Teil nachgegeben. Dadurch fühlen sich die Wirtschaftsverbände ermuntert, derzeit noch geplante Maßnahmen zur Einschränkung von Steuerprivilegien zu kippen. Da kann die Drohung mit einem Exodus aus dem Standort Deutschland nicht überraschen. Demokratie hin, Demokratie her, was auch immer der Wählerwillen ist, es soll nur das zählen, was das Kapital als nützlich definiert. Dabei wird wieder einmal deutlich, daß diejenigen, die den Abbau von Subventionen verlangen, dann rebellieren, wenn es an ihre eigenen Privilegien geht. Vergessen wird, daß dieser steuerpolitische Geiz der tonangebenden Unternehmen standortfeindlich ist. Wie soll der Staat wertvolle Infrastruktur – etwa für Bildung und Forschung – sicherstellen, wenn sich Unternehmen, die hohe Gewinne einfahren, deren Mitfinanzierung verweigern? Bleibt nur zu hoffen, daß die Bundesregierung nicht noch mehr gegenüber dieser wirtschaftsmächtigen Drohpolitik einknickt. Rudolf Hickel
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