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KommentarVerfassungs- vs. Hurrapatriotismus

■ Wehrpflicht ist keine heilige Kuh des Grundgesetzes

Das Potsdamer Landgericht hält die allgemeine Wehrpflicht für verfassungswidrig. So seine Entscheidung in einem Prozeß gegen einen Totalverweigerer. Das Bundesverfassungsgericht soll nun prüfen, ob die Wehrpflicht ein unverhältnismäßiger Eingriff in die persönliche Handlungsfreiheit ist – und damit gegen das Grundgesetz der Bundesrepublik verstößt.

Die Auffassung der Potsdamer Richter werde keinen Bestand haben, geifern nun der jetzige Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) und Ex-Soldatenminister Rupert Scholz (CDU). Scholz, selbst auch einstmals verfassungsjuristischer Kommentator des Grundgesetzes, spricht mit Schaum vor dem Mund von „einer absurden, abenteuerlichen und anmaßenden Entscheidung“.

Gemach, meine Herren der allgemeinen Wehrertüchtigung – so einfach läßt sich der Verfassungspatriotismus nicht mehr gegen Hurrapatriotismus ausspielen. Bundespräsident Roman Herzog hatte bereits 1995 auf einer Kommandeurstagung der Bundeswehr ausgeführt: „Die Wehrpflicht ist ein so tiefer Einschnitt in die individuelle Freiheit des jungen Bürgers, daß ihn der demokratische Rechtsstaat nur fordern darf, wenn es die äußere Sicherheit des Staates wirklich gebietet.“ Außerdem betonte der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, daß weder die vielfältigen Vorteile für Staat und Gesellschaft – sprich: billige Soldaten und Ausbeutung der Zivildienstleistenden – noch wolkige Rufe nach mehr Pflichtgefühl der jungen Leute zur Begründung der Wehrpflicht ausreichten.

Die Einschränkung der Grundrechte der körperlichen Unversehrtheit, der Freiheit der Person, der Freizügigkeit, der Unverletzlichkeit der Wohnung und der politischen Rechte wie Demonstrations- und Streikrecht sind keine Peanuts, wie die Herren Scharping und Scholz & Co. wohl meinen. Ganz abgesehen davon, daß Wehrpflichtige zusätzlich de facto eine Sondersteuer zahlen, weil sie nur einen Wehrsold anstelle eines normalen Lohns auf dem zivilen Arbeitsmarkt beziehen.

Vom Grundgesetz her ist die Sache klar – der Normalfall ist nach Artikel 12 das Verbot von Zwangsdiensten. Die Wehrpflicht ist hingegen – nach Artikel 12 a – lediglich eine Kann-Regelung, die nur für den Verteidigungsfall gelten darf. Deutschland ist seit der Auflösung des Ost-West-Konflikts jedoch nur noch von Freunden umzingelt. Ingo Zander

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