Kommentar: Kulturwüste
■ Theatersterben im Berliner Umland
Es ist schon lange kein Geheimnis mehr, daß die Kultureinrichtungen im nahen Berliner Umland im Sterben liegen. Die Potsdamer Theater- und Konzertszene schleppt sich mit Mühe über die Runden. Noch immer spielt das Hans-Otto-Theater in einer Blechkiste, für viele Strafe statt Genuß. Nicht viel besser sieht es für die Bühnen in Brandenburg an der Havel oder in Frankfurt an der Oder aus. Die finanzielle Ausstattung der Häuser ist schlecht, das Image provinzell: kulturelle Wüste.
Daß Brandenburgs Kulturminister Steffen Reiche den Bühnen und Orchestern nun den Todesstoß versetzt und die Bürgermeister als willige Vollstrecker agieren, mag angesichts der fragwürdigen Strukturen nur konsequent erscheinen. Ist es aber nicht. Denn der Abwicklungstrip, auf den sich Reiche begibt, legitimiert sich nach dem bloßen Prinzip der Rentabilität. Häuser und Ensembles, die sich nicht rechnen: weg damit. Übersehen wird dabei, daß die Politik seit Jahren das Ihre dazu beiträgt, indem sie Budgets zusammenstreicht, Gruppen und Orchester auflöst und sich lieber in Gastspielen und Konsumkultur sonnt, anstelle Experimente und den Nachwuchs zu fördern.
Kultur rechnet sich nicht. Künstlerische Potentiale und soziale Funktionen der Häuser und ihrer Mitglieder können nicht allein an Zahlen gemessen werden. Vielmehr kommt es darauf an, die Qualität der Ensembles zu hinterfragen und nach dem kulturellen Profit für das Land zu suchen. Warum nicht ein Stadttheater mit grenzüberschreitendem Profil für Frankfurt? Warum nicht doch eine kleine Bühne für die gebeutelte Stadt Brandenburg? Und kann man in Potsdam überhaupt noch von einer Musikszene reden, wenn der Klangkörper auf der Straße sitzt? Erst wenn diese Fragen beantwortet sind, sollte man nach Effizienz fragen und den Kulturverbund ins Auge fassen.
Sticht Reiche zu, profitiert in jedem Fall Berlin, und die hiesigen Theater- und Konzertbesucher werden sich in Zukunft auf noch längere Schlangen vor den Kassen einstellen müssen. Denn in der Schlacht um die letzte Karte rangeln dann auch die Kulturfans aus dem brandenburgischen Umland mit. Rolf Lautenschläger
Bericht Seite 19
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen