■ Kommentar: Fehlende Solidarität Deserteure, nicht nur Bomben schwächen Milosevic
Desertion ist in Deutschland ein heikles Thema. Das hat die Debatte um die Wehrmachtsdeserteure gezeigt. 50 Jahre hat es gedauert, bis diese Männer rehabilitiert wurden, bis sich die Erkenntnis durchsetzen ließ, daß sie keine Kameradenschweine waren, sondern eine Form des politischen Widerstandes leisteten.
Jetzt scheint es, als schrecke die Bundesregierung immer noch vor dem Thema zurück. Nur so läßt sich ihr Schweigen zu den Kriegsdienstverweigerern und Deserteuren der jugoslawischen Armee erklären. Obwohl Verteidigungsminister Scharping nicht müde wird, die Greuel im Kosovo zu schildern und Miloevic als Kriegsverbrecher anzuprangern, erwähnt er die Deserteure stets nur am Rande.
Die Bundesregierung hätte jetzt die Möglichkeit, ein politisches Signal zu setzen. Mit einer Änderung des Asylrechts könnte sie in der Europäischen Union eine Vorreiterrolle übernehmen. Deutschland brauchte sich dazu nur dem Europäischen Parlament anzuschließen, das 1993 die Unterstützung für Kriegsdienstverweigerer und Deserteure aus Jugoslawien forderte. Das ließe sich auf alle Armeen von Diktaturen ausdehnen.
Statt dessen zieht sich die Bundesregierung mit juristischer Finesse aus der Affäre. Weil seit Beginn des Kosovo-Krieges ohnehin keine Asylanträge von Jugoslawen bearbeitet werden, sieht sich Innenminister Schily nicht zum Handeln gezwungen. Juristische Tricks sind keine Politik. Es geht um das Grundrecht auf Gewissensfreiheit. Wer die Verbrechen der serbischen Armee nicht mitmachen will, muß die Möglichkeit haben, den Kriegsdienst zu verweigern. Jugoslawische Soldaten haben diese Wahl nicht mehr. Deshalb müssen sie in anderen Ländern Zuflucht finden können. Ohne Angst zu haben, nach kurzer Zeit wieder abgeschoben zu werden. Die Kriegsgerichte in Jugoslawien haben noch keine Urteile gefällt. Für die Betroffenen ist es daher schwer, eine Verfolgung nach geltendem Asylrecht nachzuweisen.
Das darf jedoch nicht zur Folge haben, daß die Bundesregierung so lange wartet, bis das erste Todesurteil gegen einen Deserteur vollstreckt ist. Je mehr Soldaten die Armee verlassen und je weniger Männer eingezogen werden können, desto schwächer wird die jugoslawische Kampfkraft – und damit Miloevic.
Jutta Wagemann
Bericht Seite 6
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