Kommentar: Reförmchenbereitschaft
■ Die SPD läßt sich von der Union vorführen
Es ist schon eine merkwürdige Koalitionskrise. Da streiten CDU und SPD jahrelang um den Religionsunterricht an Berlins Schulen. Dann unterschreibt die CDU-geführte Kulturverwaltung im Alleingang das neue Abkommen mit der evangelischen Kirche, das Religion zum Pflichtfach macht – und erst mit einigen Tagen Verspätung schlägt SPD-Chef Strieder Alarm.
Sonst hätte wohl niemand bemerkt, daß die SPD in der Koalition einmal mehr den kürzeren gezogen hat. Kein Wunder. Denn was in der Landespolitik überhaupt sozialdemokratische Positionen sind, ist im anlaufenden Wahlkampf weniger klar denn je.
Nirgendwo sonst zelebrieren die Genossen ihren Kurs des Herumeierns so entschlossen wie in der Schulpolitik. Zwar verteidigen die Bildungsexperten der Partei nach wie vor verbissen den nach ihrer Ansicht fortschrittlichen Berliner Sonderweg – bei der sechsklassigen Grundschule etwa oder beim freiwilligen Religionsunterricht. Doch so richtig laut sagen will das in der SPD niemand mehr, seit die CDU das Wahlkampfthema entdeckt und den Koalititionspartner als Feind von Leistung und Moral an den Pranger gestellt hat. Da wird die Frage des Religionsunterrichts dann nur noch halbherzig auf den Sankt-Nimmerleins-Tag vertagt, und im Grundschulstreit dürfen ein paar Lateinklassen als Beleg sozialdemokratischer Reförmchenbereitschaft herhalten.
Umgekehrt verhält es sich in der Finanzpolitik. Da hatten es Finanzsenatorin und Fraktionschef vermocht, der Partei ein klares Profil zu verschaffen. Die Zeichen standen auf Modernisierung und Konsolidierung. Trotzdem schauen die führenden Sozialdemokraten jetzt tatenlos zu, wie der Koalitionspartner die Sparpolitik populistisch kleinredet. Der Spitzenkandidat, aus dem politischen Vorruhestand reaktiviert, will von der Berliner Tagespolitik ohnehin nichts wissen und schwadroniert lieber über Haushaltshilfen.
Die CDU genießt es offenkundig, wie sie den Koalitionspartner vor sich her treiben kann. Schluß jetzt, schreit auf einmal die SPD. Doch erst das Vakuum auf der anderen Seite des Kabinettstischs hat die CDU-Senatoren zu ihren Alleingängen herausgefordert. Ralph Bollmann
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