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KommentarLiebloses Berlin

■ Die Love Parade droht mit Kapitalflucht

So viel Liebe zur Parade muß man sich auf der Zunge zergehen lassen: Die Niederlage vor dem Verwaltungsgericht, so die Love-Parade-Macher, sei „gleichbedeutend mit einer Absage an die autarke Selbstverwirklichung einer ganzen Generation“. Wow! 180 Buchstaben pro Sekunde Selbstbewußtsein. Das kommt an im chronisch krisengeschüttelten Berlin.

Oder etwa doch nicht? Nicht, daß wir nicht Sympathie hätten für eine wohlgesetzte Finte gegen die Klassenjustiz. Auch gegen autarke Selbstverwirklichung wäre an sich nichts einzuwenden. Nur, von welcher Generation ist hier die Rede? Etwa von der Generation Zocker?

Nun ist es zum Menschenrecht geworden, auf seinen Vorteil zu achten. Für die Firma Planetcom, deren ursprünglichem Akkumulationsdrang die Love Parade entsprang, war es selbstverständlich, die millionenschwere Raving Society beim diesjährigen Hops durch den Tiergarten selbst mit Speis und Trank zu versorgen. Das wiederum untersagte das Bezirksamt. Schließlich sei die Love Parade eine Demonstration und keine kommerzielle Veranstaltung. Entschieden hat das Verwaltungsgericht. Nicht gegen die Parade, sondern für die Demonstration. So schön kann Demokratie sein!

Aber nein, nun stehen sie da und schreiben (immerhin, das können sie auch!) Protesterklärungen: „Wir stellen mit Bedauern fest, daß die Aktionen der Berliner Verwaltungen eine zukünftige Durchführung der Love Parade in Berlin gefährden.“ Diese Drohung, wir geben es gerne zu, erschüttert uns in Mark und Bein. Kaum vorzustellen: kein Bumbum mehr auf dem 17. Juni, keine Jungunionistinnen mehr im kleinen Schwarzen, keine Trauungen im Ecstasy-Rausch. Berlin, ein Dorf am Ende der Welt.

Aber hier ist nicht der Platz für Sentimentalitäten. Es ist vielmehr Zeit, auf den eigenen Vorteil zu achten. Hiermit verkünde ich also öffentlich, daß die Jugendlichen, die bei mir Asyl beantragt haben, mit einer derben Übernachtungspauschale rechnen können. Die Belege können sie wegen mir an Planetcom schicken. Schließlich habe ich auch ein Recht, den Standort Berlin erschüttern zu dürfen. Uwe Rada

Bericht Seite 20

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