piwik no script img

KommentarBerlin hat fertig

■ Hauptstadtalltag läßt sich kaum vermarkten

Es ist wie mit den Weihnachtsgeschenken. Schon Wochen vor dem Fest drängeln die Kleinen auf jegliche Information über die gut versteckten Präsente. Liegen die Pakete erst unterm Baum, werden sie hektisch aufgerissen. Doch schon bald verfliegt der Reiz des Neuen, und das einst Begehrte verstaubt unbeachtet in der Ecke oder wird im Optimalfall zum Gegenstand des alltäglichen Gebrauchs.

Der Abnutzungseffekt des „Neuen Berlin“ liegt auf der gleichen Wellenlänge. Auch wenn sich die Marketingagentur Partner für Berlin mit offiziellen Besucherzahlen für die Schaustellen-Veranstaltungen zurückhält, ist klar: Das jahrelange Bestaunen der Baugruben hat ein Ende. Denn mit dem Abstellen der Betonmischer verbreitet sich auch ein architektonischer Stillstand in der Stadt, mit dem niemand mehr hinter dem Ofen hervorzulocken ist.

Erschwerend kommt hinzu, daß es den Architekten kaum gelungen ist, Bauwerke von bleibendem Reiz zu errichten. Wenn sich selbst der über Jahre hinweg als größte Baustelle Europas vermarktete Potsdamer Platz als Shopping-Mall mittlerer Güte entpuppt, wie sollen dann die derzeit noch überall entstehenden 08/15-Büroblocks ein breites Publikum begeistern. Selbst durch kulturelle Mega-Events läßt sich die Alltäglichkeit der Betonburgen nicht mehr kaschieren. Kurz gesagt: Berlin hat fertig.

Als neues Werbekonzept versucht Partner für Berlin nun „Shopping-Weekends“ zu dem neuen Event aufzublasen. Doch mit ein paar Boutiquen wird man das einmalige Baustellenabenteuer nicht ausgleichen können – auch dann nicht, wenn sie mit reichlich Kultur garniert werden. Die Berlin-Werber müssen aufpassen, daß sie ihr Publikum nicht mit dem x-ten Aufguß der Schaustelle langweilen oder mit aufgesetzten Gimmicks enttäuschen, die sich bei näherem Hinsehen als kaum mehr als gehobene Volksfeste entpuppen.

Berlin hat im Gegensatz zu echten Metropolen keine Eiffeltürme als dauerhafte Publikumsmagnete. Gefragt wäre ein an den Hauptstadtalltag angepaßtes und damit bescheidenes Werbekonzept – auch wenn es den schmerzvollen Abschied vom Metropolenwahn bedeutet. Gereon Asmuth

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen