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KommentarSozialhilfe-Missbrauch

■ Die Jagd nach dem Phantom

Was haben sie nicht alles aufgedeckt, die Möchtegern-Sherlock-Holmes in den Redaktions- und Amtstuben? Wie viel Zeit und Mühe haben sie verwendet, so genannte Sozialhilfe-Betrüger aufzuspüren? Mit zumeist lächerlichen Ergebnissen:

Einem Sozialhilfebezieher, so schrieb eine große Boulevardzeitung erst kürzlich, wurde nachgewiesen, sein Auto bei der Antragstellung nicht angegeben zu haben. Einer anderen, Geld für einen Wintermantel beantragt zu haben, obwohl sie bereits eine dicke Jacke besaß. Und schließlich wiesen Sozialamtsmitarbeiter und Reporter einem dritten nach, dass seine Malerrechnung zu hoch gewesen sei, weil er ja hätte selber tapezieren können.

Immer besser, immer umfassender sind die Überprüfungsmethoden geworden. Das Ergebnis der neuesten Prüfung, das Sozialsenatorin Beate Hübner (CDU) gestern bekannt gab, ist für die Missbrauchsbekämpfer dennoch ernüchternd: Gerade mal 2.309 Missbrauchsfälle wurden im dritten Quartal 1998 aufgedeckt. Eine Zahl, die man getrost vernachlässigen kann. Dennoch gilt in der öffentlichen Meinung mittlerweile fast jeder Sozialhilfeempfänger als potentieller Betrüger. Und das, obwohl ein Großteil von ihnen allein erziehende Mütter und Kinder sind. Das sind Menschen, die nachgewiesenermaßen wenig beziehungsweise gar keine Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Auch nicht als Schwarzarbeiter.

Die Sozialsenatorin ficht das nicht an. Stattdessen wird der systematische Datenabgleich auch in Zukunft weiter perfektioniert. Dafür hat sich Berlin eigens eine neuartige Software mit dem schönen Namen Basis 3000 entwickeln lassen. Ein Programm, mit dem sämtliche Anträge und Auszahlungen in allen 23 Berliner Bezirken vernetzt werden sollen. Doch das System ist äußerst kompliziert, der Start verzögert sich immer wieder. Das Ganze lässt sich der Senat immerhin 15 Millionen Mark kosten. Zum Vergleich: Der Schaden durch die gestern bekannt gegebenen Missbrauchsfälle beträgt 4,4 Millionen Mark. Die Jagd auf das Phantom wird weitergehen. Getreu dem Motto: Nicht Armut, sondern Arme bekämpfen. Richard Rother

Bericht Seite 20

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