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KommentarProstitution – eine Dienstleistung wie jede andere

■ Ein Blick in die Zukunft

Im Jahr 2010 in einer schwäbischen Kleinstadt: Die Sparkassen-Filiale gibt Kleinunternehmern Steuertips. Neben dem Klempnermeister mit zwei Angestellten sitzt die Besitzerin des Clubs „Pussy Cat“. Zehn Angestellte, keine Auszubildenden. Der Club gehört zu den größeren Arbeitgebern am Ort. Die Sparkasse gewährt einen großzügigen Kredit für weitere Investitionen. Die örtliche AOK macht im Pussy Cat gerade eine Werbeaktion für gesunde Ernährung.

Die Puffmutter ist zufrieden. Es hat sich bezahlt gemacht, dass sie 630-Mark-Jobs in ihrem Laden ablehnt. Die sind zwar inzwischen wieder abgabenfrei. Aber als Angestellte fühlen sich ihre Mädchen und Jungs dem Club mehr verbunden und fürs Haus insgesamt verantwortlich. Das schätzen auch die Kunden.

Es wächst allerdings die Konkurrenz der Selbstständigen. Seit gut verdienende Prostuierte von jeder Krankenkasse gern genommen werden, ziehen immer mehr diese Existenz vor. Die Arbeitszeiten sind noch flexibler, vor allem seit manche Prostituierten sich zu „Bürogemeinschaften“ zusammenschließen. Außerdem sind Honorare jetzt einklagbar. Dazu kommen große Agenturen, die bundesweit Prostitution in ausgewählten Apartments organisieren. Früher wäre das Förderung von Prostitution gewesen – strafbar.

Als nützlich hat sich die FDP erwiesen. Die meisten im Pussy Cat sind Mitglied im Ortsverein. Mit Gleichgesinnten für Marktwirtschaft und einen neoliberalen Wirtschaftskurs zu kämpfen, motiviert auch bei der Arbeit. Über die Partei entstehen auch wichtige Kontakte zur einheimischen Wirtschaft, nicht zu vergessen zum Unternehmerverband. Guido Westerwelle wird auf dem nächsten Hurenkongress in Berlin sprechen, im Kongresszentrum übrigens.

Neu im Ort ist jetzt der Verein „Huren im Sozialstaat“. SPD-nahe Prostituierte haben sich zusammengeschlossen, um sozialschwache, geringverdienende KollegInnen zu unterstützen. Soziale Gerechtigkeit ist ihr Motto. Sie fordern Sozialabgaben für 630-Mark-Huren.

Das beste aber war das Urteil des Bundesfinanzhofs in der vergangenen Woche. Insgesamt drei Milliarden Mark muss der Fiskus an Tausende Prostitutierte zurückzahlen. Die Besteuerung der Honorare von Angehörigen einer nicht anerkannten Berufsgruppe war verfassungswidrig. Jutta Wagemann

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