Kommentar: Thüringer Modell
■ Koalitionsparteien auf Konfrontationskurs
Da haben die neuen Umfragedaten wohl mächtig eingeschlagen. Kaum sehen die Meinungsforscher die Sozialdemokraten erstmals unter 20 Prozent und nur noch knapp vor der PDS, da prescht SPD-Justizsenator Körting mit einer harschen Attacke gegen den Regierenden Bürgermeister vor. Der Senat, fordert er, müsse sich noch vor den Wahlen zum Scheitern des Vergabeverfahrens bekennen, und die Verantwortung für dieses Scheitern trage niemand anderes als Diepgen selbst.
Mit dem Verlangen nach einer neuen Ausschreibung zieht Körting die einzig mögliche Konsequenz aus dem grandiosen Scheitern des bisherigen Verfahrens. Dieses Scheitern ist längst offenkundig, nicht erst durch die neuen Vorwürfe vom Wochenende.
Weniger plausibel wirkt dagegen Körtings Attacke gegen den Regierenden Bürgermeister. Schließlich saß Diepgen nicht alleine am Kabinettstisch, als über den Flughafen verhandelt wurde. Bei den Beratungen soll dem Vernehmen nach auch eine Dame namens Fugmann-Heesing eine Rolle gespielt haben, Finanzsenatorin mit dem Parteibuch der SPD.
Noch dreister freilich sind Diepgens Versuche, die Schuld für das Desaster in Potsdam abzuladen – beim scheidenden Chef der dortigen Staatskanzlei, dem Sozialdemokraten Linde. Wie dünnhäutig der Regierende bei diesem Thema ist, zeigen auch seine Ausfälle gegen die grüne Fraktionschefin, die er im Parlament als „Giftmischerin“ beschimpfte.
Die Anzeichen mehren sich, dass die Christdemokraten in der letzten Wahlkampfphase von ihrer bisherigen Strategie abrücken, die gemeinsamen Erfolge der Großen Koalition herauszustreichen und nach Bremer Vorbild in Stimmen umzumünzen. So hat sich Diepgen beim Haushalt von seinem Wahlkampfmanager Radunski in der vergangenen Woche auf einen Konfrontationskurs zwingen lassen. Obendrein spekulierte Radunski öffentlich darüber, einen Etat notfalls ohne den Koalitionspartner zu beschließen.
Setzt die CDU also aufs Thüringer Modell, auf eine absolute Mehrheit? Das wäre in Berlin illusorisch. Eher scheint es, als müsse die Union die Schwäche ihres Koalitionspartners fürchten. Ralph Bollmann
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