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KommentarKeine wahre Größe

■ Berlin will, dass Egon Krenz und Co. brummen

Egon Krenz, Günter Schabowski und Günther Kleiber darf man ungestraft Verbrecher nennen. Sie sind wegen Totschlags und Mitschuld an den Mauertoten verurteilt worden und müssen in den Knast. Unser Recht kennt dafür keine anderen Gesetze und keine andere Sühne. Aber kennt es nicht auch eine Moral, die mehr beinhaltet als nur die Sühne, wenn diese kaum noch Sinn macht?

Den Berliner Politikern fallen, im Gegensatz zu jenen beim Bund, erst einmal keine Antworten zum Richterspruch ein. Sie machen es sich einfach und haben auch noch Recht damit: Die Schuldigen sollen brummen, Gnade käme einer Verhöhnung der Taten und Opfer gleich. Dass dennoch keine Fragen über die Dimension des Richterspruchs gestellt werden, ist fatal.

Denn Fragen bleiben: Brauchen wir zehn Jahre nach dem Fall der Mauer noch Schuldige von Schlage Krenz und Co. Gibt es ein öffentliches Interesse an deren Gang in den Knast? Und liegt es nicht gerade in der Hauptstadt des vereinigten Deutschlands auf der Hand, den Weg der Spaltung zu überwinden, der im Rest der Republik nicht vorankommt.

Dabei geht es nicht um Gnade oder die Versöhnung mit der Geschichte, wie Krenz oder Schabowski sie meinen. Dabei geht es nicht um eine Moral, die unser Rechtssystem untergraben soll. Es geht um die Konstituierung einer Moral der Versöhnung. Dass dazu die Stadt noch nicht bereit scheint, haben die vergangenen Wahlen gezeigt. Der Osten wählt rot, der Westen schwarz, und jeder pflegt seine Nische, so gut es geht. Aber es geht in Berlin um mehr, und dies ist Aufgabe des politischen Establishments.

Für den Weg zur Einheit sind darum Fähigkeiten nötig, die wichtiger sind als Rachegedanken und juristische Geschichtsbewältigung. Zum Symbol des äußeren und inneren Friedens gehört, dass man die Verbrecher richtet, sie aber nicht henkt. Zum Symbol staatlicher und menschlicher Größe zählt ebenso die Amnestie wie ihre Durchsetzung gegenüber den Beleidigten.

An solcherlei Maßstäben mangelt es in der Stadt der Kleingeister. Krenz und Co. würde man keinen schlechteren Gefallen tun, endlich wahre Größe zu zeigen.

Rolf Lautenschläger

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