■ Kommentar: Kaffeefahrt Die Strategiekonferenz der Grünen endet perspektivlos
Wer liest schon Parteiprogramme, Grundsatzprogramme gar? Selbst die eigenen Sympathisanten verzichten meist dankend, wenn ihnen ein solches Ding in der Fußgängerzone angeboten wird. Egal was die Parteioberen beteuern, die Wähler warten nicht auf ein neues Grundsatzprogramm, ja, kaum einer dürfte gemerkt haben, dass die Grünen sich offiziell noch immer auf Beschlüsse aus dem Jahr 1980 stützen. Doch Programmarbeit ist Therapie: Das Brüten auf Konferenzen, das Grübeln in Fachforen dient nicht der Selbstdarstellung, sondern der Selbstfindung der Partei. Kein Wunder also, dass der Kongress von Kassel keine spektakulären Ergebnisse zeitigte. Problematisch jedoch ist: Die Grünen wollten sich beweisen, wie jung sie geblieben, und mussten erfahren, wie alt sie geworden sind.
Auftakt, Aufbruch, Ausblick – die Schlagworte in den Beiträgen drückten die Hoffnung auf eine Programmdebatte als Jungbrunnen aus. Doch gerade den kleinen und mittleren Kadern, die in Partei, Fraktion und Regierung die rot-grüne Koalition am Leben zu erhalten versuchen, war die Erschöpfung anzumerken. Nicht nur das rot-grüne Tagesgeschäft, auch der lange Weg zur Macht hat offenbar den grünen Mittelbau ermüdet. Von dort ist die Erneuerung kaum zu erwarten, ja, die allzu häufige Begegnung mit der Basis hat sie fast zynisch werden lassen.
Vorbei sind freilich auch die Zeiten, da eine rebellische Basis ihren Oberen eingeheizt hätte. Drei Ministerauftritte versprachen Glanz, und viele Teilnehmer waren zufrieden, sich im Widerschein der Prominenz zu rekeln. Die Kongressregie hatte für Programm gesorgt, um die Programmatik kümmerte sich kaum einer. Einzig eine Gruppe von Studenten war mit einem schriftlichen Konzept im Gepäck erschienen. Die große Mehrheit war eher in der Stimmung angereist wie Oma auf der Kaffeefahrt.
An Kontroverse war in Kassel niemand interessiert, weder Basis noch Mittelbau, geschweige denn Minister. Mag sein, dass Magdeburg und Bielefeld die Grünen Vorsicht gelehrt haben. Ein Grundsatzprogramm aber, das Konturen haben soll, ist ohne Kontroverse nicht zu haben. Zu viel Vorsicht lässt die Partei noch älter aussehen, als sie ohnehin ist. Das wäre zwar auch eine Selbsterkenntnis, doch kaum eine, die sich zur Selbstdarstellung eignet. Patrick Schwarz
Berichte Seite 2
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen