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KommentarKoalition des Stillstands

■ CDU und SPD unterbieten sich selbst

Die Hoffnung auf ein Scheitern ist verfrüht. Schön wäre es ja, wenn die Koalitionsverhandlungen zwischen CDU und SPD heute noch auf der Zielgerade platzten. Doch das Geschrei der Unterhändler, im Gerangel um die Senatsposten „drohe“ das endgültige Zerwürfnis, ist nichts als Kriegsgetöse. Am Ende werden sich die Partner wieder zur Zwangsehe zusammenfinden – wenn nicht heute, dann morgen oder übermorgen.

Den BerlinerInnen haben beide Parteien in den Wochen seit der Wahl vorgeführt, was von all dem Gerede über einen neuen Aufbruch im alten Regierungsbündnis zu halten ist: nichts.

An Bremen, dem vermeintlichen Erfolgsmodell einer großen Koalition der Harmonie, orientierten sich die Akteure auch diesmal nicht. Sämtliche Gemeinsamkeiten sind, wenn es sie je gegeben hat, nach neun Jahren aufgebraucht. Wochenlang führten CDU und SPD ein Palaver über Unverbindliches. In allen strittigen Fragen verständigten sie sich, nach ebenso aufreibenden wie sinnlosen Debatten, auf den Status quo. Die große Koalition in Berlin ist und bleibt eine Koalition des Stillstands. Das Schlimmste an den Ritualen des gealterten Ehepaares ist ihre Vorhersehbarkeit. Wenn die SPD glaubt, die CDU mit dem Koalitionsvertrag für alle Zeiten vom Pfad des finanzpolitischen Populismus abbringen zu können, dann hat sie sich getäuscht. Die Union ging mit bedrucktem Papier schon immer lässiger um als die Genossen in ihrer protestantischen Schriftgläubigkeit. Nach nur kurzem Widerstand hat die CDU die meisten Versprechen aus ihrem Wahlprogramm kurzerhand über Bord geworfen. Das gleiche Schicksal dürfte auch das Koalitionspapier erleiden.

Das Gerede von Professionalität und neuem Stil, mit dem die SPD ihre Rückkehr zur bewährten Langeweile bemäntelte, hat sich als Augenwischerei erwiesen. So leidenschaftslos, wie die Parteien ihre Entscheidung für ein neuerliches Bündnis getroffen haben, vollziehen sie sie auch. Wer geglaubt hat, schlimmer könne es nicht kommen, sieht sich getäuscht. Die Koalitionsverhandlungen haben gezeigt: CDU und SPD sind nie darum verlegen, sich selbst zu unterbieten.

Ralph Bollmann

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