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Kommentar zur Regierungsbildung in ItalienDer römische Albtraum

Michael Braun
Kommentar von Michael Braun

Der wahre Albtraum steht Italien womöglich erst noch bevor. Berlusconi nämlich hat realistische Chancen, die nächsten Wahlen zu gewinnen

S ie scheinen in ferner Vergangenheit zu liegen, die Tage im November 2011, als Silvio Berlusconi unter Schimpf und Schande aus der Regierung schied, als tausende Menschen mit Johlen und Pfeifkonzerten seinen Abschied feierten. Endgültig erledigt schien er damals, und seine Partei stürzte auf unter 10 Prozent ab.

Doch jetzt ist Berlusconi wieder da. Er darf nicht nur für sich reklamieren, den als Chef der Partito Democratico (PD) zurückgetretenen Pierluigi Bersani erledigt und damit binnen den vergangenen knapp 20 Jahren fast das Dutzend der gegen ihn schmachvoll untergegangenen Anführer der Linken vollgemacht zu haben.

Beanspruchen darf Berlusconi vor allem, seine Wunschlösung – die Koalition mit der PD – erreicht zu haben. Staatspräsident Napolitano ebenso wie die meisten Zeitungen Italiens reden diese Lösung jetzt schön: Das sei halt eine große Koalition, wie sie anderswo ja gerade in Krisenzeiten doch auch gang und gäbe sei.

Bild: Christian Jungeblodt

Michael Braun ist Korrespondent der taz in Italien.

Das Gegenteil ist wahr: Mit Berlusconis Rückkehr ins Zentrum der Macht wird die Anomalie der italienischen Demokratie zementiert, die Anomalie einer Demokratie, deren stärkster Politiker weiterhin nicht nur seine Interessenkonflikte mit sich herumschleppt, sondern der dazu noch einen ganzen Strauß von Prozessen – wegen Steuerhinterziehung, wegen Förderung der Prostitution Minderjähriger und einigem mehr – am Hals hat.

Und der wahre Albtraum steht Italien womöglich erst noch bevor. Berlusconi nämlich hat realistische Chancen, nach einem Scheitern der Regierung Letta – das er selbst jederzeit dekretieren kann – die nächsten Wahlen zu gewinnen und sich dann als Nachfolger Giorgio Napolitanos zum Staatspräsidenten küren zu lassen. Die Berlusconisierung des Landes wäre damit perfekt – ebenso wie der Untergang der italienischen Linken.

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Michael Braun
Auslandskorrespondent Italien
Promovierter Politologe, 1985-1995 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Unis Duisburg und Essen, seit 1996 als Journalist in Rom, seit 2000 taz-Korrespondent, daneben tätig für deutsche Rundfunkanstalten, das italienische Wochenmagazin „Internazionale“ und als Wissenschaftlicher Mitarbeiter für das Büro Rom der Friedrich-Ebert-Stiftung.
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1 Kommentar

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  • MG
    Michael Grün

    Wie Sie sicherlich wissen, gehörte auch Mussolini einmal den Linken an bevor er nach Rom marschierte. Was Sie vielleicht nicht wissen ist, dass die Machtübernahme der Faschisten in Italien mit dem Einwanderungsstopp für Italiener in die USA zusammenfiel. Was soll also schlimmes passieren, wenn Berlusconi Präsident wird? Ich verstehe diese Angst nicht. Schlimmer als es jetzt schon ist, kann es nicht mehr werden. Viel eher befürchte ich dass dadurch große Probleme auf Deutschland zukommen werden.