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Kommentar zur Anerkennung der Zeugen Jehovas als KörperschaftGrüne für den Kirchenstaat

Kommentar von Benno Schirrmeister

Der kuriose Vorstoß der Bremer Grünen, die Zeugen Jehovas nicht als Körperschaft anzuerkennen, ist formal aussichtslos, inhaltlich kontraproduktiv - und natürlich attackiert er die Religionsfreiheit.

B remen soll nach Wunsch der Grünen und anders als das übrige Norddeutschland, die Zeugen Jehovas nicht als Körperschaft anerkennen. Ein kurioser Vorstoß: Formal ist er aussichtslos, inhaltlich kontraproduktiv - und natürlich attackiert er die Religionsfreiheit.

Denn diese Anerkennung ist, anders als Lokalpolitiker Matthias Güldner meint, kein Privileg. Sie löst einen Rechtsanspruch ein. Im Jahr 2000 hatte den das Bundesverfassungsgericht bestätigt. Diskriminierung aber beginnt, wo bestätigtes Recht nur widerwillig gewährt wird: Die Grünen fordern also den Staat auf, seine Neutralitätspflicht zu verletzen. Beistand suchen sie dafür bei den Amtskirchen - also der direkten Konkurrenz der Zeugen Jehovas. Klar, dass ein solcher Vorstoß die - beobachtbare - Bereitschaft zur Öffnung hintertreibt. Denn für die Anerkennung haben die Wachttürmler starre Haltungen aufgeweicht: So akzeptieren sie seit über zehn Jahren, dass Kinder auch gegen den Elternwillen Bluttransfusionen erhalten.

Eine Möglichkeit, sie auszubremsen, gibts laut Verfassungsgericht aber doch. Dafür müssten Güldner und Co nachweisen, dass die Zeugen Jehovas das demokratische System unterminieren: Vielleicht lässt ja doch der wachsende Einfluss der Wachtturmgesellschaft die Wahlbeteiligung so drastisch sinken. Und nicht das Gebrabbel schlecht informierter Politiker.

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Reporter und Redakteur
Jahrgang 1972. Seit 2002 bei taz.nord in Bremen als Fachkraft für Agrar, Oper und Abseitiges tätig. Alexander-Rhomberg-Preis 2002.
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5 Kommentare

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  • W
    W.K.

    Merkwürdig, dass hier auf meinen Hinweis, dass ZJ bei dem Prozess in Karlsruhe besser als die Gegenseite vorbereitet waren, so herum geritten wird. Dass ist doch noch nur eine Nebenpunkt und tatsächlich auch nicht schlimm. Schlimmer ist, dass die viele Vorwürfe ungeklärt geblieben sind (siehe nochmals Zitat aus dem Urteil), obwohl ein klein wenig Recherche diese bekräftigt hätten. Auch ohne fünf Fragezeichen....

  • O
    Otto

    Na klar waren die ZJ gut vorberitet. Schlimm?????

    Es gibt wohl noch andere Glaubensrichtungen denen man erst Recht auf die Finger schauen müsste, oder????

    Wenn diese ZJ so schlechte Menschen sind - warum gehen diese Pesonen nicht in den Krieg???????

    Weil sie angeblich so schlechte Menschen sind?????

    Glaub mal sicher wir alle würden viel schlimmere Sachen von dieser Gruppe hören, wenn alles so stimmt was geschrieben und gesagt wird....

  • DL
    Der Leser

    zum vorgänger kommentar:

    Voll und ganz ihrer Meinung!

    Einfach unfassbar das die ZJ "mal wieder cleverer" waren und sich sogar erdreisteten "vorbereitet" zu sein. Warum tun die nur sowas? Nicht das die am ende noch versucht haben ihre Interessen zu vertreten? Fast schon kriminell wie die vorgehen. Dabei hätten Berlin und das BV sich die jahrelange arbeit sparen können und einfach googel konsultieren können.

  • E
    Ellinor

    Ich bin mehr als entsetzt, daß die

    ZJ auf diese Art aufgewertet werden.

    Wie es im Inneren dieser Familien

    aussieht und mit welchen verlogenen

    Machenschaften es dort abläuft wissen die Entscheidungsträger sicher nicht. Sie nennen ihre Lügen "theokratische Kriegslist" und

    glauben darf man diesen Leuten kein

    Wort. Wie kann es z.B. sein, daß die

    Vollzeitbeschäftigten weniger Gele

    bekommen als Hartz IV, für ihren

    natürlich weit höheren Bedarf zum

    Staat laufen und sich Geld von der

    arbeitenden Bevölkerung, die ihre

    Steuern bezahlt, über Zuschüsse hereinholt. Somit subventioniert unser Staat den reichen Wachtturm-

    Konzern. Es gäbe so viel, hierüber

    zu berichten, warum traut sich

    niemand?

  • W
    W.K.

    Herr Schirrmeister, Sie werfen den Politikern, die sich gegen eine Anerkennung der ZJ als KdöR einsetzten, vor, "schlecht informiert" zu sein und "Gebrabbel" von sich zu geben. Offen gestanden, das sind Begrifflichkeiten, die mir beim Lesen Ihres Kommentares in den Sinn kommen.

     

    Zunächst, das Urteil des BVG hat mich beeindruckt. Eine Demokratie, die von Körperschaften döR - ein Privileg mit tw. staatsähnlichen Hoheiten - keine Loyalität zum Staat erwartet, es als "belanglos" ansieht, dass sie Wahlen verbietet (wohlgemerkt verbietet, nicht bloß kritisch betrachtet) und den Staat als "des Teufels" bezeichnen darf, solch eine Demokratie ist fürwahr eine starke Demokratie. Wenn der Staat es als seine verfassungsgemäße Pflicht ansieht, dass solche Kriterien nicht von Belang sein dürfen, dann dürfen und sollen ZJ eine KdöR sein.

     

    Viel entscheidender ist für mich, und ich glaube, das meinten auch die Grünen, folgender Absatz des Urteils:

     

    "Insbesondere ist im fachgerichtlichen Verfahren offen geblieben, ob die Beschwerdeführerein [die ZJ] - wie das Land Berlin behauptet - durch die von ihr empfohlenen Erziehungspraktiken das Wohl der Kinder beeinträchtigt oder austrittwillige Mitglieder zwangsweise oder mit vom Grundgesetz missbilligten Mitteln in der Gemeinschaft [der ZJ] festhält und damit dem staatlichen Schutz anvertraute Grundrechte beeinträchtigt."

     

    Offen geblieben heißt nicht, dass es es nicht gibt! Eine kurze Suche nach "sektenausstieg" bei Google offenbart zahllose Aussteigerberichte, die genau diese "offen gebliebenen" Beweise erbringt.

     

    Meiner Meinung nach waren die ZJ, wie so oft, einfach mal wieder besser vorbereitet. Das Urteil offenbart übrigens noch die eine oder andere Schlampigkeit, die sich das Land Berlin bei dem Verfahren geleistet hat. Die ZJ waren einfach mal wieder cleverer. Schon von Beginn an. So haben sie sich ganz schnell nach der Wende noch von der DDR-Regierung als Religionsgemeinschaft anerkennen lassen, wohlwissend, dass dies leichter sein würde, als im Westen eine KdöR zu werden. Danach verklagten sie Berlin, diese Anerkennung zu übernehmen.

     

    Das Land Berlin hätte einfach nur diese "offenen geblieben" Vorwürfe intensiver recherchieren sollen, anstatt sich auf das Thema mit den Wahlen und der Loyalität dem Staat gegenüber zu versteifen. Möglich, dass Karlsruhe sich dann von menschenverachtenden Praktiken eher hätte beeindrucken lassen, als von der Tatsache, dass ZJ den deutschen Staat als "teuflisch" betrachten. Möglich, dass wir dann ein anderes Urteil hätten.